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Stefan Arsenijević
Fragen an den Regisseur:

Wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?
Es entwickelte sich im Anschluss an die Berlinale 2003, bei der ich den Goldenen Bären erhielt. Dort begegnete ich Nikolaj Nikitin. Ein paar Monate später rief er mich an, um zu fragen, ob ich nicht bei einem „Omnibusprojekt” mitmachen wolle. Das klang sehr aufregend. Normalerweise arbeitet ein Regisseur sehr isoliert, und hier bot sich nun die Gelegenheit, mit anderen Regisseuren zusammen zu arbeiten, sie und ihre Ideen kennen zu lernen und eine Gemeinschaftsarbeit zustande zu bringen. Das ist keine leichte Sache, im Gegenteil, aber ich glaube, es ist uns gelungen.

Wäre es derselbe Film geworden, wenn die Leute nur aus einem Land gekommen wären?
Selbstverständlich hätte er dann ganz anders ausgesehen. Aber das Aufregende war für mich gerade die Erkenntnis, dass sich einige phantastische Beziehungen und Dinge in unseren Ländern wiederholen. Es ist absolut unglaublich, dass einige der an dem Projekt beteiligten Länder Nachbarn sind, aber wir bislang nichts voneinander wussten. Man bekommt nur sehr wenige Filme aus der Region zu sehen, was nicht zuletzt ein Problem der Filmpolitik ist - wir schauen uns alle dieselben amerikanischen Filme an, nur unsere eigenen Arbeiten kennen wir so gut wie nicht. Zu entdecken, wie ähnlich wir in einer und wie verschieden wir in einer anderen Hinsicht sind, auf alle diese Verbindungen, diese kleinen Details zu stoßen, die so absolut gleich sind, hat mich einfach umgehauen.

Zeigen sich diese Gemeinsamkeiten in der Filmsprache?
Ich bin mir da nicht so sicher, auf dieser Ebene sind die Filme sehr verschieden. Für mich waren es die Gefühle. Sie alle haben eine andere Sprache entwickelt, das Gefühl aber ist dasselbe. Das kam wohl durch das Thema ‚Generation’. Auch reflektieren die Filme die sozialen und historischen Gegebenheiten, und wir stecken so ziemlich in derselben Situation. Meiner Ansicht nach ist die Atmosphäre in allen Geschichten tatsächlich dieselbe. Einige Geschichten sind eher tragisch, andere stärker komödiantisch. Alle laufen jedoch auf den gleichen Punkt hinaus, und das ist für mich die Verzweiflung, der Kampf, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen, mit der Situation umzugehen, in der wir stecken - und weil wir alle aus Ost- oder Südosteuropa stammen, gibt es jede Menge Ähnlichkeiten. Hätte man sechs Regisseure aus Westeuropa versammelt, wären die Themen und die Atmosphäre ganz anders gewesen.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Sie eine Straßenbahn als Schauplatz für Ihren Film gewählt haben, eine Straßenbahn, die ein Mikrokosmos der Gesellschaft zu sein scheint.
Das war der Grundgedanke. Und Straßenbahnen laufen natürlich auf Schienen. Da gibt es etwas, was von vornherein festgelegt ist. Man muss den Schienen folgen. Aber das ist allgemeingültig, das kann für jede Gesellschaft - und eigentlich für jeden Einzelnen - gelten. Und doch kommt immer ein Punkt, wo es zwei verschiedene Schienenstränge gibt. Und davon handelt mein Film. Man kann sich immer entscheiden, auch wenn es nur ein paar Möglichkeiten gibt. Ich möchte daran glauben, daß es immer einen Schienenstrang gibt, der uns, wie in meinem Fall, zur Liebe führt, und das ist die Grundlösung für alles.

Das Gespräch führte Oliver Baumgarten, Chefredakteur des Filmmagazins SCHNITT.