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von Eda Čufer
Ich persönlich glaube, dass die Re-/Konstruktion der Erinnerung an diese versteckte Kultur essentielle Bedeutung für die Zukunft hat, denn:

* man findet in ihr echte Gesellschaftsanalyse sowie Ideen und Werte, die der jeweiligen Gesellschaft die Möglichkeit geben, sich aus einer zeitgemäßeren Perspektive zu sehen.

* sie ist die Basis für eine kritische Betrachtung, Entwicklung und Re-/Konstruktion der Erzählung, die das Vergangene mit dem Zukünftigen verbindet.

* sie ist die einzige kulturelle Tradition in diesen Ländern, die offen ist für konstruktive Kommunikation und Integration mit anderen europäischen Ländern, und die neue Themen, Blickwinkel, sowie ein anderes Problembewusstsein in die bestehende europäische Agenda einbringen könnte.

* sie ist im Grunde die einzige kulturelle Tradition, in der Ideen und Werte lebendig sind, auf deren Basis die osteuropäischen Länder im Prozess der europäischen Integration als gleichwertige Partner auftreten können.

Dennoch existiert diese Erinnerungs-Kultur nicht auf den „Landkarten“ der regionalen oder nationalen Kulturen – weder auf der „Karte“ der osteuropäischen Kulturen, falls es so etwas gibt, noch auf jener der „gemeinsamen“ europäischen Kultur, auf der natürlich Westeuropa immer noch dominiert. Es wäre jedoch zu einfach, wenn man sagt, dass dies nur am westlichen Kulturimperialismus liegt; natürlich ist es auch die Konsequenz aus der Unfähigkeit der osteuropäischen Länder, ihre Perspektive zu verändern, sich selbst kritisch zu betrachten und ihre eigenen Modelle für Weiterentwicklung und Wachstum zu entwerfen.
 
 
3. Das Projekt relations ist daher einmalig unter den vom „Westen“ ausgehenden Initiativen, weil es einen Versuch darstellt, tiefer in die realen, häufig auch traumatischen Probleme vorzudringen, die die Gesellschaften damit haben, tatsächliche Grenzen zu überschreiten, noch lange nachdem die ideologischen gefallen sind. Alle ausgewählten Projekte, so unterschiedlich sie sein mögen, konzentrieren sich auf die Frage, wie man die jeweiligen osteuropäischen Bedingungen verbessern könnte und wie sich auch der Blick der anderen, beispielsweise der Deutschen, auf die osteuropäische Realität positiv verändern könnte, soweit, dass der Blick auf Osteuropa zu einem Austausch wird, der beide Seien inspiriert.

Meiner Meinung nach ist innerhalb dieser Dialektik die Frage ebenso wichtig, mit welchen Strategien sich zwischen den osteuropäischen Ländern bessere Verbindungen und Kommunikationsnetze aufbauen lassen, wie der Ausbau der Kommunikation und des Austausches zwischen Ost und West. Da ich mich in meinem Denken stark auf die Re-/Konstruktion von Erinnerung konzentriere, darauf, wie wir uns daran erinnern wollen wer wir einst waren, um zu verstehen, wer wir einmal sein werden, interessiert mich besonders der Vorschlag der Galerie Foksal. Deren Projekt enthält als zentrales Element ein öffentlich zugängliches Archiv, das Kunstwerke dokumentiert, die sich noch im Privatbesitz der KünstlerInnen befinden. Ein solches Archiv ergänzt sich mit anderen Projekten, die darauf abzielen, Erinnerung lebendig zu halten und die Vergangenheit in eine zeitgemäße Perspektive zu integrieren. Das Museum für Moderne Kunst in Ljubljana zeigte in den Ausstellungen „Body and the East“ („Das Bild des Körpers in Osteuropa“) und „East 2000 +“ (eine Sammlung osteuropäischer Konzeptkunst) hauptsächlich Objekte, die über Jahre in den Kellerräumen der Künstlerinnen vergessen wurden. Die slowenische Gruppe bildender Künstler „Irwin“ versucht in ihrem Projekt „East Art Map“ („Landkarte der Kunst Osteuropas“) eine Auseinandersetzung über das Kunstgedächtnis Osteuropas anzuregen. Das rumänische Kollektiv „SubReal“ verwendete das Archiv der Kunstzeitschrift „Arta“ als Materialgrundlage für ihr ehrgeiziges Projekt „Art History Archive“ („Kunstgeschichte-Archiv“).

Es gibt natürlich viele Möglichkeiten und Ansätze, mit den oben angesprochenen Problemstellungen umzugehen; ich möchte folgende konkrete Vorschläge machen, diese Themen mit Hilfe der durch relations bereitgestellten Strukturen anzugehen:

* Zusammenbringen der verschiedenen osteuropäischen Gruppen, die sich mit der Rekonstruktion von Kultur beschäftigen. In Rahmen eines Workshops können Netzwerke geschaffen, Vorstellungen, Vorgehensweisen, Erfahrungen, Kontakte, und praktische Lösungsvorschläge für die gemeinsamen Probleme ausgetauscht werden. Die Ergebnisse des ersten Workshops werden in einer offenen Ausstellung gezeigt und können durch die Erfahrungen anderer ergänzt und erweitert werden.

* Als Alternative oder Ergänzung zu diesem Workshop könnte relations eine Konferenz über die Re-/Konstruktion der Erinnerung an das 20. Jahrhundert ermöglichen und so Intellektuelle, KünstlerInnen und professionelle Kunstvermittlerinnen aus Ost und West zusammenbringen, Menschen also, zu deren täglicher Erfahrung es gehört, Grenzen zu überschreiten oder zu negieren. Gemeinsam könnte man dann die Räume und Grenzen untersuchen, die die TeilnehmerInnen in der Gesellschaft einnehmen und die Sensibilität für die Wahrnehmung von Räumen und Übergängen wecken. Die Konferenz könnte konkrete Projekte der TeilnehmerInnen thematisieren (wie Bücher, Ausstellungen, Festivals, Programme). Dieser Austausch von Erfahrungen, die Beiträge und Präsentationen könnten in Form eines Videos dokumentiert werden.

Eda Čufer, 24. April 2003