Die Kulturstiftung des Bundes fördert im Rahmen der Kompetenzen des Bundes Projekte der Gegenwartskultur, die sich gesamtgesellschaftlich relevanten Themen widmen und international ausgerichtet sind. In ihrem Programm "Mittel- und Osteuropa" hat die Kulturstiftung des Bundes dabei Projekte initiiert, die mit den Mitteln von Kunst und Kultur auf die Transformationsprozesse nach dem Ende des Ostblocks reagieren. Neben multilateralen Projekten wie relations fördert die Kulturstiftung des Bundes zudem Projekte im bilateralen Kulturaustausch – etwa mit Polen (www.buero-kopernikus.de) oder mit Ungarn (www.projekt-bipolar.net). Die Kulturstiftung des Bundes wurde 2002 von der Bundesregierung gegründet und hat ihren Sitz in Halle. Mit einem jährlichen Etat von über 38 Mio. Euro gehört sie zu den größten öffentlichen Kulturstiftungen in Europa.
Die Kulturstiftung des Bundes hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 2002 in vielfältiger Weise für das Zusammenwachsen Europas engagiert. Neben zahlreichen Einzelprojekten, unter anderem in den Sparten Theater, Literatur, Film und Tanz setzen die Kulturbegegnungen mit Polen und Ungarn besondere Akzente auf einen qualifizierten bilateralen Austausch. relations – dem ersten und bis heute umfangreichsten Programm für Kulturprojekte im östlichen Europa – kommt bei all diesen Aktivitäten eine Pionierfunktion zu. Für die Kulturstiftung des Bundes gilt relations in besonderer Weise als Ausweis einer nationalen Stiftungspolitik, die international Verantwortung übernimmt. Zudem ist es das Modell für qualifizierte Kooperationen im kulturellen Sektor. Die im Rahmen von relations entstandenen gut ein Dutzend Projekte verbinden den Anspruch auf künstlerische Qualität mit einer präzisen Orientierung auf gesellschaftlich relevante Themen: den Umgang mit Erinnerung, die Transformationen des öffentlichen Raums, das Verhältnis der Generationen, die Sicherung von Geschichte, kulturelle Bildung, künstlerische Selbstorganisation und zahlreiche weitere Themen, die in keiner Weise spezifisch "osteuropäisch" sind, sondern kulturelle Akteure im westlichen und im östlichen Europa gleichermaßen betreffen.
relations bringt diese Akteure zusammen – Künstler, Filmemacher, Autoren, Wissenschaftler und Kuratoren –, um sich mit den Herausforderungen ihrer lokalen Kontexte auseinanderzusetzen und innovative Formen der Vermittlung ihrer Positionen zu entwickeln. relations erlaubt den Projekten, diese Arbeit intensiv und autonom zu leisten – unabhängig von staatlichen Repräsentationsabsichten, mit langem Atem und der Lizenz zum Experimentieren. Darüber hinaus etabliert relations den Rahmen, innerhalb dessen die auswärtigen Projekte institutionelle Partner und öffentliche Aufmerksamkeit in Deutschland finden. Auf diese Weise entstehen Allianzen internationaler Zusammenarbeit, die auf lange Sicht die Grundlagen stärken, die für den Aufbau eines europäischen Bewusstseins unerlässlich sind: das Wissen voneinander, das Vertrauen ineinander, die Achtung kultureller Unterschiede und, nicht zuletzt, den Enthusiasmus für gemeinschaftliche Projekte in der Zukunft.
Bei all dem baut relations in seinen Projekten auf eine Tradition auf, die das europäische Miteinander im Kulturbereich seit langem prägt. So gelang es der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts scheinbar mühelos, Künstler in Paris, Berlin, Moskau und weiteren europäischen Zentren zu einem intellektuellen Stromkreis zusammenzuschließen. Heute, da das europäische Projekt in einer Krise steckt, wächst auf Seiten der europäischen Politik das Interesse an dieser Tradition des Kulturaustausches und damit an der Frage, welche Rolle die Kultur in Europa spielen kann.
"Europa lässt die Menschen nicht mehr träumen." Mit diesen nüchternen Worten zitiert Jürgen Habermas nach dem Scheitern der französischen und niederländischen Verfassungsreferenden den EU-Politiker Jean-Claude Juncker. Die Qualität eines Traumes aber wird Europa auf Grundlage eines acquis communautaire allein kaum erlangen können. Vielmehr muss es versuchen, die Treibstoffe von Kunst und Kultur einzusetzen, um europäische Erfahrungen lebendig zu machen: mit dem Mut zur Vision, der Ausdauer im produktiven Dissens, im Geist der Utopie und in der Sensibilität auch für die Konflikte und brutalen Facetten europäischer Wirklichkeit.
Die Kulturstiftung des Bundes versucht, den europäischen Einigungsprozess von beiden Systemen aus zu befördern: der kulturellen Praxis und der Politik. relations ist eine der Initiativen, mit denen sich die Kulturstiftung des Bundes für die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit stark macht – einer Öffentlichkeit, deren Sprache wir auf allen Seiten – der Politik, der Kultur und der Kulturvermittlung – erst einmal zu lernen haben. Diese DVD, ein Brevier von Beobachtungen in Chişinău, Sofia, Pristina, Sarajevo, Warschau, Zagreb und Ljubljana, liefert Stoffe zuhauf, um einen solchen Lernprozess zu befördern. Sie produziert Wahrnehmungen und Bilder eines Europas, das geographisch umfassender und politisch komplexer ist als das der Europäischen Union. Eines Europas unterschiedlicher Aggregatzustände: Krisenregionen neben Wachstumskorridoren, Visa-Barrieren neben Marktplätzen globaler Konzerne, vermeintlich fortschrittsintensive neben scheinbar rückständigen Zonen.
Jede Publikation wendet sich an eine bestimmte Leserschaft. Ich wünsche diesem digitalen relations-Archiv drei Gruppen von Lesern: Politiker, die es als Erkenntnisinstrument für die europäische Gegenwart lesen mögen; Künstler und Kulturakteure, die darin hoffentlich Anreize finden für Projekte jenseits etablierter Kultursysteme; schließlich jene – ihre Zahl möge groß sein –, die nicht aufhören wollen, ihrem Traum von Europa Nahrung zu geben.
Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes