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Ein Projekt des Contemporary Art Institute, EXIT, Peja, in Zusammenarbeit mit dem Laboratory for Visual Arts und dem Centre for Humanistic Studies Gani Bobi, Kosovo
 
„Missing Identity“ hinterfragt das Bestreben, eine einheitliche nationale Identität festzuschreiben, und propagiert den Schutz von Differenz. Das Projekt versucht, eine künstlerische Wirklichkeit dessen zu schaffen, was im Kosovo als abwesend erfahren wird: kulturelle, sprachliche und ethnische Vielfältigkeit. Durch Kunstprojekte, Bildungsarbeit und die Erstellung der Kunst-Beilage ARTA für die Wochenzeitung JAVA realisiert das Projekt eine alternative öffentlichkeit und streitet aktiv für eine offene Gesellschaft.

Missing IdentityMissing IdentityMissing Identity
Die Bedeutung von Identitätspolitik in der heutigen Zeit kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dies gilt im besonderen für den Balkan, wo seit dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem blutigen Ende des ehemaligen Jugoslawien die Teilrepubliken und ethnischen Gruppen sich dazu entschlossen haben, ihrer Identität mit Gewalt und Zerstörung Ausdruck zu verleihen, anstatt sie mit Mitteln der Sprache zu verhandeln. Der kommunistischen Partei des ehemaligen Jugoslawien war es in ihrem Bestreben, einzelne, national definierte Identitätsvorstellungen zu überwinden, gelungen, einen gewissen Grad von ‚Brüderlichkeit und Einigkeit‘ zu erreichen. Sie förderte sie als generelles Prinzip des Zusammenhalts – und nicht als Prinzip der Volkszugehörigkeit. Der Versuch allerdings, mit Druck von ‚oben‘ eine neue jugoslawische Identität zwanghaft zu implementieren, ist gescheitert. Weder konnte der ‚Jugoslawismus‘ die vorhandenen ethnischen Identitäten ersetzen noch einen Schmelztiegel schaffen, um auf diesem Weg das notwendige Gleichgewicht zwischen ethnischen und kulturellen Traditionen einerseits und Loyalität zum ‚Jugoslawismus‘ andererseits herzustellen. In der Tat bildeten falsche Vorstellungen und Fehlinterpretationen von Identität und Identitätspolitik die Grundlage für die Kriege zwischen den Teilrepubliken und Volksgruppen. Das Prinzip der ‚Brüderlichkeit‘ wurde radikal abgelöst vom Prinzip der Ethnizität im Sinne eines alles beherrschenden Ethnozentrismus. Man nahm an bzw. setzte als selbstverständlich voraus, dass in diesem Teil der Welt Kultur und Ethnizität bzw. sogar Kultur und Nation (oder Staat) deckungsgleich sind.
 
Alternativen zu einer nicht vorhandenen Zukunft entwickeln
Heute ist die Situation anders. Im Anschluss an die NATO-Intervention steht das Kosovo nun unter dem Protektorat der UN. Es sollte die Gelegenheit beim Schopfe greifen, um die Auffassung von Identität im Allgemeinen und die vorherrschende Identitätspolitik im Speziellen zu überdenken bzw. neu zu entwerfen. Die Menschen im Kosovo müssen daran arbeiten, zwischen Kultur und Volkszugehörigkeit zu unterscheiden und diese Differenz zu wahren. Mit vereinten Kräften kann eine gemeinsame europäische Identität geformt und der Wechsel von einer ethnozentrischen, monolithischen, einsprachigen Gesellschaft hin zu einer Gesellschaft, die sich durch Vielsprachigkeit und Multikulturalität auszeichnet, vollzogen werden. Was im Kosovo im Moment jedoch noch fehlt, ist ein Verständnis von Europa als einer supranationalen Struktur, die eine Vielfalt von unterschiedlichen Identitäten und Kulturen enthält und erhält. Es gibt ein bekanntes kosovarisches Sprichwort, das besagt, „dass das, was fehlt, auch nicht weh tut“. Genau hier setzt das Projekt „Missing Identity“ an: Es hat sich vorgenommen, eine virtuelle und künstlerische Wirklichkeit dessen, „was weh tut“ – eben weil es fehlt –, zu formen. Das Ziel des Projektes ist es, diese fehlende Welt der kulturellen, sprachlichen und ethnischen Vielfältigkeit zu schaffen. Es ist ein Projekt, das Alternativen zu einer nicht vorhandenen Zukunft aufzeigt – „to make it hurt“!
 
Im Wesentlichen stützt sich unser Projekt auf drei Module: Zunächst veranstalten wir regelmäßig Ausstellungen und Kunstprojekte, die insbesondere in der jüngst eröffneten Galerie EXIT in Peja gezeigt werden. So haben unter anderem die KünstlerInnen Maja Bajevic and Emanuel Licha eine Ausstellung mit dem Titel „Honeymoon in Kosova“ kuratiert. Erzen Shkololli und Sokol Beqiri gaben mit der Ausstellung „Merry Ramadan“ Einblicke in die aktuelle Kunstszene, nicht nur des Kosovo. Es wurden u.a. Arbeiten von Maja Bajevic (Bosnien- Herzegowina), Sener Ozmen (Türkei) and Stefano Romano (Italien) gezeigt. Zuletzt zeigte die deutsche Kuratorin Inke Arns unter dem Titel „Where am I (and who are all these people)?“ Arbeiten von Nina Fischer, Maroan el Sani, Christoph Keller, Daniel Pflumm und Heidi Specker. Das zweite entscheidende Modul ist die Bildungsarbeit. Kontinuierlich werden Seminare und Workshops zu Themen der zeitgenössischen Kultur und Bildenden Kunst abgehalten. Sie sind kostenlos und jeder Studierende kann sich bewerben. Auf diese Weise soll für möglichst viele (junge Menschen) ein intellektuell anregendes, kreatives und innovatives Umfeld geschaffen werden. Während der zwei Projektjahre werden zu verwandten Themen jeweils viermonatige Kurse abgehalten. Pro Jahr finden vier Kurse statt. Der letzte Workshop hatte die alternative Kunst- und Kulturszene in Berlin unter Berücksichtigung des historischen Kontextes seit 1989 zum Thema. Er wurde von Inke Arns and Claudia Wahjudi geleitet. Jeden Monat erarbeiten wir unter der Leitung von Shkëlzen Maliqi gemeinsam mit den StudentInnen der Kurse eine Beilage für die Wochenzeitung Java. Arta berichtet über aktuelle Entwicklungen in der Bildenden Kunst, insbesondere im Balkan, aber auch in anderen Teilen Europas. Jeweils ein Gast- Essay in englischer Sprache findet sich auf der letzten Seite.
 

Mehmet Behluli