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Ein Projekt des Institute of Contemporary Art (ICA), Sofia, in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftskolleg in Sofia (CAS).
 
Das „Visual Seminar“ beschäftigt sich mit der Kultur des Visuellen in so genannten Transformationsgesellschaften. Die Veränderungen der Oberflächen im urbanen Raum seit der Einführung eines kapitalistischen Wirtschaftssystems, die Dominanz neuer visueller Codes und damit einhergehende veränderte Wahrnehmungsmuster werden am Beispiel Sofias analysiert und als Politikum ausgewiesen. Mit Kunstaktionen im öffentlichen Raum und der Veranstaltung von Diskussionsforen werden der Öffentlichkeit Strategien zum Umgang mit und zur Dechiffrierung von Bildern geboten.
Visual SeminarVisual SeminarVisual Seminar
Wir erleben heute eine neue Welle des Visuellen: In der globalisierten Welt werden die bisherige Kultur des Bildes bzw. die „Gesellschaft des Spektakels“ (Guy Debord) insgesamt durch die neuen komplexen Strukturen von „display“, „interface“, „billboard“ (Anzeigetafel), von eingescannten und digital verschickten Bildern nach und nach verändert. Gemeinsam mit dem Amateurvideo, dem Videoclip und der Post-MTV-Kultur, mit dem Umsichgreifen von Design, Lifestyle und Fusionskulturen durchdringen die neuen visuell-digitalisierten Hybridformen das tägliche Leben. Das „Visual Seminar“ beschäftigt sich mit der gegenwärtigen Kultur des Visuellen in so genannten Transformationsgesellschaften. Wir wollen die Veränderungen im urbanen Raum und damit die Kultur des Sehens und die Erziehung des Blicks als Politikum verstanden wissen. Unsere Intention ist es, die Kulturpolitik unseres Landes durch das Initiieren von Diskussionen und Debatten zu beeinflussen und damit die Fähigkeit der Öffentlichkeit zu fördern, mit Bildern umzugehen. In Bulgarien ge- und missbrauchen Bürokraten und vormals staatlich geförderte KünstlerInnen noch immer die alten visuellen Codes für einen aggressiven Neo-Nationalismus und unausgegorene Anti-Globalisierungs-Aktionen. Zudem verbreiten die Massenmedien, die vielfach populistisch agieren und leicht zu manipulieren sind, häufig minderwertige (und politisch inkorrekte) Bilderwelten, die sich teils aus dem verstaubten kommunistischen Erbe und teils aus der nicht minder propagandistischen Bilderwelt der Konsumgesellschaft speisen. In diesem unwirtlichen Umfeld stehen die kreativen und innovativen Codes der Gegenwartskunst mit ihrer Eigenschaft, Wertesysteme miteinander zu vermischen und zu durchkreuzen, offensiv Tabus zu brechen, neue Objekte der Begierde zu schaffen, Zitate ironisch einzusetzen und mit Vielschichtigkeiten zu spielen, einem Dechiffrierungsdefizit gegenüber. Die breite Öffentlichkeit in Bulgarien hat mehrheitlich erhebliche Schwierigkeiten, die neuen künstlerischen Bilder-Botschaften auch nur zu ‚lesen'. Nicht zuletzt aus diesem Grund können die bildenden Künste hierzulande bislang keine nennenswerte öffentliche Wirkung erzielen. Um hier Abhilfe zu schaffen, veranstalten wir regelmäßig öffentliche Diskussionsveranstaltungen und fördern die Zusammenarbeit zwischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen im Rahmen unseres StipendiatInnenprogramms, das am Wissenschaftskolleg in Sofia (CAS) unter der Leitung von Alexander Kiossev durchgeführt wird.
 

Bilder der Stadt, Bilder des Kapitals

Die Themen der öffentlichen, zum Teil von den StipendiatInnen mitgestalteten Debatten im Rahmen der Diskussionsveranstaltungen des „Visual Seminar“ waren bislang etwa: „Bilder der Stadt, Bilder des Kapitals“, „Debatten zwischen der Visuellen Linken und der Visuellen Rechten“, „Philosophie des Visuellen in der Stadt“, „Sprache im öffentlichen Raum“ oder „Die Klischees vom Visuellen und vom Wort im urbanen Raum“. An den Foren nehmen ArchitektInnen, Stadträte bzw. kommunale EntscheidungsträgerInnen der Stadt Sofia, InvestorInnen und eine interessierte Öffentlichkeit teil. Sie werden von einer intensiven Pressearbeit begleitet. In 2004 hat das „Visual Seminar“ zum ersten Mal einen Preis für das überflüssigste Gebäude der Stadt vergeben: eine Himbeere aus Spiegelglas. Mehr als 200 Personen hatten via Internet oder vor Ort ihr Votum kundgetan. Außerdem haben wir einen „Diskussionsclub on demand“ gegründet. Die Themen werden vom Publikum bestimmt und das „Visual Seminar“ stellt auf Nachfrage die Infrastruktur und die Moderation zur Verfügung. Ein weiteres zentrales Modul für uns ist das Kuratieren von Ausstellungen und die Förderung von Kunstaktionen im öffentlichen Raum. Der Stipendiat Krassimir Terziev etwa spielte seine Videoarbeiten auf sämtliche Monitore in der Sofioter U-Bahn. Sein Projekt wurde mit der Ausstellung „From toward to here“ fortgeführt. Alle Arbeiten der StipendiatInnen (vier pro Jahr) werden in einzelnen Publikationen dokumentiert.
 

Iara Boubnova