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Ein Projekt von IRWIN (Miran Mohar, Andrej Savski, Borut Vogelnik), Ljubljana
 
Das Kunstprojekt „East Art Map“ will bislang unbekannte Bereiche der Kunst des östlichen Europas ab 1945 erschließen und zugänglich machen. Ziel ist der Aufbau eines Orientierungssystems, das über nationale Grenzen hinweg Zusammenhänge aufzeigt und Vergleiche ermöglicht. Nachdem „EAM I“ KuratorInnen, KritikerInnen und KünstlerInnen einlud, wichtige Kunstprojekte ihrer Länder vorzustellen, ist mit „EAM II“ die Karte seit November 2004 im Internet zugänglich, wo ihre Topographie durch die Öffentlichkeit verändert werden kann. In Zusammenarbeit mit Universitäten werden östliche und westliche Kunstproduktionen erforscht, aufgearbeitet und in Beziehung gesetzt.

East Art MapEast Art MapEast Art Map
Für Osteuropa – bekannt auch als ehemaliger kommunistischer Block, Ost- und Mitteleuropa oder Neueuropa – gilt die Regel, dass es keine transparenten Strukturen gibt, in denen für die Kunstgeschichte relevante Ereignisse, Kunstwerke und KünstlerInnen in ein Bezugssystem gesetzt werden, das auch außerhalb der Grenzen eines einzelnen Landes akzeptiert und respektiert wird. Stattdessen stoßen wir auf Systeme, die nur innerhalb der nationalen Grenzen gültig sind. Die Rechtfertigung dieser Bezugssysteme basiert dabei oftmals auf lokalen Bedürfnissen, Vergleiche mit zeitgenössischer Kunst und KünstlerInnen werden nur sehr selten angestellt. Ein derartig zerrissenes System behindert vor allem ein umfassenderes Verständnis der in der Zeit des Sozialismus geschaffenen Kunst im Ganzen. Außerdem stellt es für die KünstlerInnen ein Problem dar, denn es fehlt ihnen nicht nur an adäquater Unterstützung für ihre Arbeiten; sie sind aus demselben Grund auch gezwungen, zwischen dem regionalen und dem internationalen Kunstbetrieb hin und her zu springen. Weiterhin blockiert das Fehlen eines einheitlichen Bezugssystems die Kommunikation unter den KünstlerInnen, KritikerInnen und KunsttheoretikerInnen aus diesen Ländern. „East Art Map“ (EAM) soll als Orientierungshilfe in dem noch nicht erschlossenen Gebiet der Kunst im Osten dienen. Eine Orientierungshilfe, die für die ‚Westkunst‘ nicht mehr nötig ist. Betrachtet jemand zum Beispiel ein Werk von Joseph Beuys, wird er es, sofern er sich auch nur ein wenig mit künstlerischen Produktionen auskennt, augenblicklich in seinen Beziehungen zu einem ganzen Komplex anderer Kunstwerke und KünstlerInnen wahrnehmen. Nahezu jeder hat, zumindest in Grundzügen, eine Landkarte der hauptsächlich im Westen hervorgebrachten Kunst vor Augen. Für die im Osten geschaffene Kunst gilt aber genau das Gegenteil: In den meisten Fällen ist man ratlos, wenn man dieses oder jenes Werk in einen Kontext stellen soll. Anstelle eines transparenten Bezugssystems, das Vergleiche auf internationaler Ebene ermöglichen würde, haben wir es in unserer Region mit historischen, in lokale Mythen gefassten Darstellungen zu tun, die sich nicht in eine internationale Sprache der Kunst übersetzen lassen. Verantwortlich für das Beharren auf dieser Form der Auseinandersetzung ist die Angst vor einer Umbildung des ganzen Wertesystems. Eben deshalb haben Fachleute des einen Landes sich normalerweise nicht in die Kunstinterpretation eines anderen Landes eingemischt. Diese Tendenz lässt sich nur überwinden, wenn die Einmischung ausländischer Fachleute nicht nur erwünscht ist, sondern geradezu organisiert wird. Ein Ziel von „East Art Map“ ist es, im Rahmen unserer Möglichkeiten die Grenzen dieser Kunst-Fürstentümer konkret und auf verschiedenen Ebenen zu überschreiten.
 
„East Art Map I“ – die Kunst in Osteuropa 1945 – 2000
In einem ersten Schritt (2001-2002) wollte „East Art Map“ die Kunst ganz Osteuropas vorstellen, die einzelnen KünstlerInnen aus ihrem nationalen Kontext herauslösen und in ein einheitliches Schema fassen, das als übersichtliche und benutzerfreundlicher Karte der osteuropäischen Kunst von 1945 bis 2000 dienen könnte. Wir luden 24 bekannte KunstkritikerInnen, MuseumsdirektorInnen und KünstlerInnen ein, aus ihren jeweiligen Ländern 10 wichtige Kunstprojekte der letzten 50 Jahre vorzustellen. Welche Kunstwerke, KünstlerInnen und Ereignisse sie präsentierten, blieb den Eingeladenen uneingeschränkt selbst überlassen. Die einzelnen Auswahlen wurden zu einem Ganzen zusammengefügt, so dass sich eine Karte ergab, die so grundlegende Fragen wie „Wer, wo, wann?“ beantwortet. Die Ergebnisse wurden im September 2002 in der 20. Nummer des New Moment Magazins veröffentlicht. Zudem wurde eine „East Art Map“ auf CD-ROM produziert und zum ersten Mal im Juni 2002 im Rahmen der „Museutopia“ Ausstellung im Hagener Karl Ernst Osthaus-Museum vorgestellt.
 
„East Art Map II“ – die Objektivierung und Demokratisierung
Während „East Art Map I“ so langsam Gestalt annahm, schälte sich eine Reihe von Merkmalen heraus, die für das Funktionieren des Kunstsystems in den Ländern des so genannten Ostens charakteristisch sind. Zwei dieser Merkmale möchten wir gern herausstellen, da sie miteinander verknüpft und für die weitere Entwicklung des Projektes von besonderer Bedeutung sind. Obwohl wir die eingeladenen ExpertInnen ausdrücklich gebeten hatten, die ausgewählten KünstlerInnen und ihre Werke hinsichtlich ihres spezifischen Beitrages zur regionalen wie zur internationalen Kunstproduktion zu beurteilen, haben es nur wenige getan. Außerdem wurden die KünstlerInnen nach ‚kunterbunten‘ Kriterien ausgewählt. Eigentlich hatten wir das auch erwartet, aber doch gehofft, dass die Auswahlkriterien zumindest deutlicher definiert werden. Nur in wenigen Fällen wurde die Kunstproduktion des Ostens in Bezug auf die zeitgenössische Produktion im Westen reflektiert. Das galt, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen, nicht nur für die regionalen ExpertInnen aus dem Osten, sondern auch für die westlichen ExpertInnen, die sich in der Regel auf Vergleiche mit westlichen KünstlerInnen beschränkten. Der nun anstehende und in Umsetzung begriffene Teil II von „East Art Map“ beschäftigt sich aus diesen Gründen mit der Überprüfung und Objektivierung der Ergebnisse von „East Art Map I“. Das Projekt sieht eine Website, Forschung und kritische Beurteilung von KennerInnen der Beziehung zwischen östlicher und westlicher Kunstproduktion und Forschungen in Zusammenarbeit mit Universitäten vor. Fachleute aus Ost und West wurden gebeten, uns Texte von etwa zehn bis fünfzehn Seiten zu schicken, die sich mit konkreten Vergleichen der Kunst beider ‚Regionen‘ beschäftigen. Auf Grundlage unserer Kenntnis der AutorInnen und ihrer Fachgebiete haben wir Themen verteilt. Dass diese Texte die bestehenden Lücken in diesem Bereich schließen, erwarten wir nicht. Wir betrachten sie vielmehr als Vorbilder für mögliche Forschungsthemen. Wir hoffen, dass diese Texte und unsere Zusammenarbeit mit verschiedenen Universitäten zu weitergehenden Forschungen und weiterer wissenschaftlicher Auseinandersetzung anregt. Seit September 2004 ist die „East Art Map“ auch im Internet zugänglich. Dort werden wir die Öffentlichkeit um weitere Informationen bitten, die womöglich die Topographie der Karte verändern. Dieses Vorgehen wird erstens das Sammeln von Daten beschleunigen und ihre Aufbereitung demokratisieren; zweitens wird es jedem ermöglichen, die vor unseren Augen entstehende Geschichte mitzugestalten und andere KünstlerInnen oder Kunstwerke hinzuzufügen und drittens wird es den Raum und die Bedingungen für eine leichtere Kommunikation zwischen TheoretikerInnen, KritikerInnen und anderen kunstinteressierten Menschen aus ganz Osteuropa schaffen. Eine Multiplikation der Themen und Diskussionen durch diese weitere Öffnung wird „East Art Map“ hoffentlich in die breite Öffentlichkeit tragen und den Aufbau eines Bezugssystems für die vergleichende Wissenschaft der osteuropäischen Kunst beschleunigen.
 

IRWIN