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Ein Projekt des Sarajevo Center for Contemporary Art.
 
Nach dem Zusammenbruch Ex-Jugoslawiens schreiben neue nationale Eliten die Geschichte ihrer Länder um. Erinnerungen werden gelöscht, Orte umbenannt, Bücher korrigiert und gleichzeitig neue Hymnen, Ikonen und Symbole vermittelt. Insbesondere das Aufstellen und Abbauen von Denkmälern wird zum Ausweis einer neu errungenen Geschichtsmächtigkeit. „De/construction of Monument“ begegnet dieser Manipulation mit Dekonstruktion. Künstlerische Aktionen im öffentlichen Raum, Diskussionsveranstaltungen, Workshops und Publikationen unternehmen den Versuch, Geschichte zu entideologisieren und bestehende Kulturmodelle zu verändern.

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Was haben die Nachfolgestaaten der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien gemeinsam? Sie alle sind noch immer mit der Schaffung eines Nationalstaates beschäftigt, der auf einer nationalen und nationalistischen Politik und Ideologie beruht. Der gesamte politische Raum dreht sich darum. Das Ergebnis dieser Politik besteht nicht (nur) darin, dass man sich von der Herrschaft des Größeren und Stärkeren befreit, gegen den Aggressor und für die Sicherheit des ‚eigenen' Territoriums und die nationale Integrität kämpft. Es geht dabei auch um ethnische Teilung, um die Homogenisierung eines Volkes, indem beständig ein Gefühl von Bedrohung und Furcht vor dem anderen geschürt wird. Die raison d'être der neuen Staaten ist daher ethnische Homogenität, Einheit. Dabei wurde eine kollektive Identität - ‚die Herrschaft der Arbeiterklasse' - durch eine andere ersetzt: ‚Die Herrschaft der (ethnischen) Nation'. Auch in der Kultur hat die herrschende nationalistische Politik ein Gegenstück, etwa dort, wo auf einem folkloristisch religiösen Nährboden eine pseudo-nationale Kultur in einer rückwärtsgewandten und obsoleten Form herangezogen wird. Die herrschende nationale Elite macht bei ihrer Selbstdarstellung reichlich Gebrauch von mythischen Bildern und Symbolen ‚aus der ruhmreichen und tragischen Vergangenheit' der Nation. Um den neuen Kulturkoordinaten Geltung zu verschaffen, wird Geschichte umgeschrieben und Erinnerung gelöscht. Über Nacht sind unsere bisherigen Helden zu Terroristen und Feinden geworden und umgekehrt; alte Symbole werden ausradiert, neue, ‚schönere und ältere' als ihre Vorgänger entworfen. Neue Hymnen, neue alte Sprachen werden gelehrt, tote Schriftsteller und Dichter werden aus den Büchern getilgt, Wörterbücher korrigiert und neu verfasst, Orte werden umbenannt, und all das geschieht in schönster Harmonie mit dem neuen Patriotismus. Dennoch existiert eine zeitgenössische Kunst, die ihre Zeit spiegelt und offen für eine Kommunikation mit der Außenwelt, mit anderen ist. Sie bedient sich neuer Medien und Kunstformen, spielt mit ihnen, wirft Fragen auf, thematisiert soziale Traumata, entmystifiziert sowohl traditionelle Kunstbegriffe als auch kollektive ideologische Muster und Wahrheiten. Diese ‚andere Kunst' - ihre Praxis, ihre Organisationsmethode, ihre Arbeitsstrategien und Interessensphären - bergen durchaus das Potential in sich, die herrschenden Kulturmodelle und Denkkoordinaten zu verändern. Die Entstehung des Themas „De/construction of Monument“ lässt sich bis in die neunziger Jahre zurückverfolgen, angefangen mit Mladen Stilinović, IRWIN, Sanja Iveković und Rasa Todosijević bis zu Erzen Shkololli oder Kurt&Plasto, die der jüngsten Künstlergeneration angehören. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie die symbolische Darstellung der alten, der erneuten oder der neuen Ideologiegebäude kritisch deuten oder für die Wiederentdeckung ‚vergessener' Persönlichkeiten und Symbole plädieren. Wie Charles Laundry 2002 im kulturpolitischen Bericht für Bosnien schreibt: „In keinem anderen europäischen Land ist Kulturpolitik wichtiger als in Bosnien-Herzegowina. Kultur ist die Ursache wie auch die Lösung seiner Probleme. Mit Kultur wurde argumentiert, um das Land zu spalten, und doch mag die Kultur in der Lage sein, die Menschen wieder zusammenzubringen, sofern man Kulturprogramme initiiert, die gegenseitiges Verständnis und Respekt fördern.“
Diese Diagnose der Krankheitssymptome wie auch ihrer Heilung lässt sich auf alle Länder des ehemaligen Jugoslawien anwenden. Die Krankheit heißt: Manipulation von Kultur, Kunst, Religion und Medien durch die nationalistischen Eliten. Die Heilung heißt: Dekontaminierung der Kultur. Ziel dieses Projektes ist es, das künstlerische Potential sichtbar und schlagkräftig zu machen. In der Haltung der individuellen KünstlerInnen sehen wir ein gesellschaftliches Korrektiv, und aus dieser Überzeugung heraus entstand dieses Projekt. Gegenstand unseres Projektes ist daher: Die Dekonstruktion von Mythen, die Entideologisierung und Dekodierung der jüngeren und der entfernteren Geschichte, die sich bis heute auswirkt. Für die Konstruktion neuer Bedeutungen und neuer Interpretationen werden die KünstlerInnen in diesem Projekt Denkmäler, Symbole, Ikonen verwenden, kurz: die herrschenden Darstellungen der verschiedenen Epochen. Unsere Absicht ist, die bestehenden Kulturmodelle zu verändern. Unsere spezifischen Zielsetzungen sind: ein neues historisches Bewusstsein zu wecken; neue Organisationsformen in Kunst und Kultur zu fördern; die individuelle künstlerische Aktion zu einem Mittel der Gesellschaftsveränderung zu machen; Kunst als eines der Elemente eines neuen sozialen Bewusstsein anzuerkennen; internationale und regionale Geschichtsrezeptionen zu vergleichen.
 
So wie unsere Arbeit über die nationalen Grenzen hinausgeht, so ist auch unser Beirat international besetzt. Wir haben daher Borka Pavičević (Belgrad), Shkëlzen Maliqi (Priština), Zelimir Koščević, Jacob Finci und Marina Gržinić eingeladen, Mitglieder des Beirats zu werden. Darüber hinaus arbeiten wir auch mit Organisationen aus Banja Luka, der Hauptstadt der Republik Srpska, zusammen, etwa mit dem „Centre for Informative Decontamination“, das die Zeitschrift „Buka“ (Lärm) herausgibt und eine antinationale Fernsehsendung für den lokalen Sender Alternative TV produziert. Ein weiterer Partner ist eine Organisation, die sich „Ghetto“ nennt. Sie kümmert sich vor allem um die Ausbildung von StudentInnen der Kunstakademie in Banja Luka und sorgt dafür, dass sie in die SCCA-Programme aufgenommen werden, und insbesondere in das Projekt „De/construction of Monument“. In Mostar arbeiten wir mit „Urban Movement" zusammen, einer Gruppe, die eine Initiative für die Errichtung eines Bruce-Lee- Denkmals in Mostar gestartet hat. „Urban Movement“ ist davon überzeugt, dass es eine edle Mission ist, eine populäre Ikone, einen Kämpfer für Gerechtigkeit, dessen ethnische Herkunft für uns alle ohne Bedeutung ist, wieder dorthin zu bringen, wo er herkam: auf die Straße. Des weiteren arbeiten wir mit der in New York und Sarajevo ansässigen NGO „The Children's Movement for Creative Education“ zusammen. Dieses Pilotprojekt wendet sich an SchülerInnen aus Sarajevo und Lukavica und beschäftigt sich damit, wie Jugendliche die nahe Vergangenheit reflektieren und betrachten.
 

Dunja Blažević