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Hauptstadt: Sarajevo, 522 000 (Schätzung 2001 ), im Jahr 1991: 383 000 (Schätzung)
Einwohner: 4 112 000 (Schätzung 2002), im Jahr 1991: 4,5 Millionen
Bevölkerung: 48 Prozent Bosniaken, 37 Prozent Serben, 14 Prozent Kroaten (Schätzung 2000)
Fläche: 51129 Quadratkilometer
Bruttoinlandsprodukt (BIP): 7020 Millionen US-Dollar (2003)
BIP pro Kopf: 1818 USDollar (2003)

Seit 1998 existiert zwar eine "Statistik-Agentur für Bosnien-Herzegowina", die wegen der Konflikte zwischen den politischen Gebietskörperschaften jedoch nicht funktionsfähig ist. Folglich sind statistische Daten zu dem Land völlig unzuverlässig.

 

Der erzwungene Gesamtstaat

Unter Tito erhielt Bosnien-Herzegowina 1946 den Status einer Teilrepublik innerhalb der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ). So sollte nicht zuletzt ein Gleichgewicht zwischen Kroatien und Serbien hergestellt werden, deren jeweilige Nationalisten stets einen hegemonialen Anspruch auf diese Region erhoben hatten. Da man davon ausging, dass sie früher oder später das Kroatentum oder das Serbentum als nationale Identität annehmen würden, wurden die bosnischen Muslime1  in der jugoslawischen Verfassung zunächst nicht als konstitutive Nation eingestuft. Erst 1963 erfolgte ihre offizielle Anerkennung als sechstes jugoslawisches Staatsvolk. Diese Anerkennung verdankte sich auch einem außenpolitischen Kalkül. Im Rahmen seiner blockfreien Politik hatte Tito die Kontakte zu den islamischen Ländern intensiviert. Damit war auch eine Aufwertung des Islams in Bosnien-Herzegowina verbunden. Nach Beginn der "grünen Revolution" im Iran (1979) ging das kommunistische Regime wieder restriktiver gegen bosnische Islamisten vor, um das Erstarken eines muslimischen Fundamentalismus und Nationalismus zu unterbinden.
Die Republik bildete gewissermaßen das Herzstück des ethnisch pluralen Nationalstaats: 1991 waren 44 Prozent der Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas Muslime, 31 Prozent Serben und 17 Prozent Kroaten. Durch die Sezessionsbestrebungen von Slowenien und Kroatien, die sich in den späten 1980er Jahren immer deutlicher abzeichneten, wurde dieses Modell allerdings demontiert. Denn nur durch die föderale Einbindung von Bosnien-Herzegowina in die bundesstaatlichen Strukturen Jugoslawiens konnten die konkurrierenden Nationalismen eingehegt werden. Die Mehrheit der in Bosnien-Herzegowina lebenden Serben und Kroaten waren nach ihrem Selbstverständnis sowohl Bürger der Republik als auch Teil einer grenzüberschreitenden nationalen Gemeinschaft. Ein Auseinanderbrechen des multiethnischen Föderalstaates musste diese Konstruktion jedoch ins Wanken bringen. Auch um den Bestand der Teilrepublik zu retten, versuchte die bosnische Regierung eine völlige Auflösung Jugoslawiens zu verhindern. Dabei konnte sie sich zunächst auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung stützen, deren Wahrnehmung stark von der multiethnischen Situation des Landes geprägt war. Die Eskalation des Bürgerkriegs in Kroatien 1991 polarisierte die bosnische Gesellschaft jedoch immer stärker entlang ethnischer Grenzziehungen. An der Frage der Sezession zerbrach schließlich der Nationen übergreifende Konsens, die staatlich-territoriale Einheit von Bosnien-Herzegowina zu erhalten. Nach dem endgültigen Ausscheiden von Slowenien und Kroatien aus der Föderation wuchs bei der nicht-serbischen Bevölkerung die Furcht, in einem Restjugoslawien von den Serben dominiert zu werden. Als deshalb Mitte 1991 das Parlament der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina mit den Stimmen der muslimischen und kroatischen Fraktionen den Beschluss zur Unabhängigkeit gefasst hatte, proklamierten die serbischen Nationalisten unter der Führung von Radovan Karadžić im Gegenzug die unabhängige "Serbische Republik Bosnien und Herzegowina". Ein Jahr später riefen die bosnischen Kroaten in ihrem Stammgebiet die "Republik Herceg-Bosna" aus.
Die ethnische Fragmentierung von Bosnien-Herzegowina hatte sich bereits bei den ersten freien Wahlen am 18. November 1990 abgezeichnet. Die Serbische Demokratische Partei (SDS), die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) und die muslimische Partei der Demokratischen Aktion (SDA) konnten die große Mehrheit der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Zunächst bildeten diese nationalistischen Sammelbewegungen eine Regierungskoalition. Gemäß der jugoslawischen Tradition wurden die höchsten Staatsämter nach einem Proporzsystem verteilt: Der Muslim Alija Izetbegović2  übernahm das Amt des Präsidenten, die Serben stellten den Parlamentspräsidenten und die Kroaten den Ministerpräsidenten.
Allerdings zerstritt die Dreiparteienkoalition sich schon bald wegen der künftigen Verfassungsordnung. Die serbischen und kroatischen Politiker befürworteten eine ethnische Föderalisierung der Republik, die von den Muslimen vehement abgelehnt wurde. Sie befürchteten eine politische Majorisierung durch die anderen Volksgruppen und eine schleichende Aufteilung der Republik unter den Nachbarländern.
Auf Verlangen der Europäischen Gemeinschaft wurde am 29. Februar und 1. März 1992 ein Referendum über die Unabhängigkeit durchgeführt, das die Serben boykottierten. Aber auch bei den Teilnehmern machten sich große Differenzen bemerkbar. Während die Muslime die Abstimmung mit einem Bekenntnis zu einem einheitlichen Staat verbanden, in dem zugleich der Anspruch mitschwang, sich als das einzige konstitutive Staatsvolk zu definieren, verknüpften die Kroaten ihr Referendum mit einem der Schweiz nachempfundenen Kantonsmodell.
Als Bosnien-Herzegowina am 6. April 1992 völkerrechtlich anerkannt wurde, begann ein blutiger Bürgerkrieg, in dem sich zeitweilig zwei Millionen Menschen auf der Flucht befanden, etwa 250 000 Personen getötet und rund 175 000 verwundet wurden. Zunächst kämpfte jede Volksgruppe gegen die andere. Nach einer von den USA erzwungenen Einstellung der Feindseligkeiten zwischen den kroatischen und muslimischen Truppen Anfang 1994 wurde am 1. März desselben Jahres eine gemeinsame Föderation gegründet. Ihre neue Verfassung bedeutete den endgültigen Abschied von einem unitaristischen Staatsmodell, das vor allem die Bosniaken favorisiert hatten. Der Staat sollte in acht Kantone, nämlich vier kroatische, zwei muslimische und zwei ethnisch gemischte aufgeteilt werden.
Dank dieser Allianz und ausländischer Rüstungshilfe gerieten die Serben militärisch allmählich in die Defensive. Der "Westen" hatte lange gezögert, mit Waffengewalt in den Konflikt einzugreifen. Der Einsatz von UN-Truppen diente ausschließlich der Sicherung humanitärer Zwecke, und die 1993 erfolgte Errichtung von sogenannten Schutzzonen in mehreren eingeschlossenen muslimischen Städten konnte Massaker wie in Srebrenica nicht verhindern. Als die Nato schließlich mit Luftangriffen gegen die serbische Seite in das Kriegsgeschehen eingriff, wurden die Kampfhandlungen eingestellt. Nach dem Friedensabschluss von Dayton im November 1995 wurde das Land von einer 60 000 Mann starken Nato-Armee (Sfor) besetzt, um die Durchsetzung des Vertrags zu garantieren. 2004 übernahm die Europäische Union mit 7000 Soldaten (Eufor) die militärische Absicherung des Abkommens. In der Zwischenzeit konnte ein Teil der Vertriebenen in die alten Wohngebiete zurückkehren, aber noch immer leben etwa eine Million Flüchtlinge über die ganze Region verstreut.

Ethnische Fragmentierung und Protektoratsherrschaft

Der Dayton-Vertrag hat zwar die Existenz eines unteilbaren Bosnien-Herzegowina festgeschrieben, gleichzeitig aber institutionelle Strukturen geschaffen, welche die Trennung zwischen den ethnischen Gruppen verfestigen. So ist die Republik konzipiert als gemeinsamer Staat von drei "konstitutiven Völkern" – Bosniaken (Muslimen), Serben und Kroaten – , aber zugleich in zwei etwa gleich große, autonome "Entitäten" unterteilt, nämlich die Serbische Republik (Republika Srpska) und die Bosniakisch-Kroatische Föderation (BKF). Beide Teileinheiten sind dem Protektorat der Vereinten Nationen unterstellt. Die BKF gliedert sich wiederum in zehn nach ethnischen Kriterien gebildete Kantone und den mit einem Sonderstatus versehenen Distrikt Brčko. Die verschiedenen Gebietskörperschaften haben eigene Parlamente und Regierungen. Beide Entitäten besitzen nicht nur eine eigene Armee und Justiz, sondern verfügen auch über eigenständige Bildungssysteme. Sie können internationale Verträge abschließen und "spezielle parallele Beziehungen" zu den Nachbarstaaten Kroatien und Serbien-Montenegro unterhalten. Insgesamt beansprucht diese Staatsstruktur mit ihren 14 Regierungen und 180 Ministern mehr als die Hälfte des Steueraufkommens.
Während der Gesamtstaat nur für die Außen, Verkehrs, Handels- und Finanzpolitik zuständig ist, verfügen die Entitäten und die kantonalen Organe über großen politischen Einfluss. Die drei Parteien behandeln die von ihnen kontrollierten Gebietskörperschaften wie eine Art von Privatbesitz, aus dem sie Ressourcen schöpfen, um das jeweilige Klientelsystem zu bedienen. Die seit 1996 durchgeführten Wahlen brachten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, stets den Sieg der Nationalisten – so auch bei der letzten Abstimmung im Jahr 2002, als erstmals in allen politischen Gebietskörperschaften gleichzeitig gewählt wurde.
Das Gegeneinander formaler Institutionen und realer Machtstrukturen behindert auch den Befriedungs- und Wiederaufbauprozess. Ein Großteil der internationalen Finanzhilfen versickert in den unübersichtlichen administrativen Strukturen und zeigt wenig Wirkung.
Zur Durchsetzung des Friedensabkommens hat die internationale Gemeinschaft 1997 im Rahmen der Errichtung eines Protektorats das Amt des High Representative geschaffen, das mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet ist. Der Hohe Repräsentant kann bosnische Funktionsträger ohne Begründung ihres Postens entheben, Gesetze für nichtig erklären oder selbst neue Dekrete erlassen. Als Umsetzungs- und Koordinierungsorgan fungiert dabei das Office of the High Representative (OHR).
In den letzten Jahren suspendierte es eine Reihe von Politikern wegen Korruption oder mangelnder Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. So wurden im Juni 2004 sechzig bosnisch-serbische Amtsträger entlassen, welche die Verhaftung des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadžić hintertrieben haben sollen. Ebenso repressiv ging die Protektoratsbehörde gegen Sezessionsbestrebungen von Nationalisten vor. Im Frühjahr 2001 versuchte die HDZ die Wiederherstellung der "Kroatischen Republik Herceg-Bosna" als dritte Entität zu erzwingen. Diese war nach der Gründung der Bosniakisch-Kroatischen Föderation im Jahr 2004 zwar formal aufgelöst worden, ihre Macht- und Verwaltungsstrukturen blieben jedoch weitgehend unangetastet. Um der Forderung nach einer eigenen Regierung Nachdruck zu verleihen, meuterten zeitweilig Tausende kroatische Soldaten. Erst als der Hohe Repräsentant das kroatische Mitglied des bosnischen Staatspräsidiums absetzte und der HDZ mit Verbot drohte, konnte die Proklamierung eines dritten Teilstaats verhindert werden.
Im April 2002 erzwang das OHR eine Verfassungsänderung, nach der Bosniaken, Serben und Kroaten in beiden Entitäten als konstituierende Völker anerkannt werden und auf dem gesamten Staatsterritorium die gleichen Bürgerrechte genießen. Auf Druck der Europäischen Union nahm das Parlament von Bosnien-Herzegowina am 1. Dezember 2003 auch ein Verteidigungsgesetz an, das den geteilten Streitkräften des Landes einen einzigen Generalstab zuweist und sie einer gemeinsamen zivilen Kontrolle unterwirft. Vor Ort bleiben die Militäreinheiten weiterhin ethnisch getrennt. Damit hat die bosnische Regierung eine wesentliche Bedingung für die geplante Aufnahme des Landes in das Nato-Programm "Partnerschaft für den Frieden" erfüllt. Auch die Polizeibehörden sollen nach der Vorstellung des Hohen Repräsentanten künftig in zehn regionale Bereiche gegliedert werden, die sich mit den Grenzen der beiden Entitäten nicht decken. Diese Reform gehört zu den Voraussetzungen, damit die EU Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA)3  aufnimmt. Allerdings haben alle serbischen Parlamentsparteien im September 2005 das Dokument zur Polizeireform abgelehnt. Den Ausbau zentralstaatlicher Strukturen empfinden die bosnischen Serben als eine Schwächung ihrer Autonomie, die ihnen in Dayton vertraglich zugestanden wurde. Nur die Aussicht auf dringend benötigte internationale Finanzhilfen hat die Regierung der Serbischen Republik bisher dazu bewegt, Zugeständnisse an den Bundesstaat zu machen. Dennoch bleibt die Gefahr einer Abspaltung bestehen. So wird befürchtet, dass die von der Staatengemeinschaft angekündigte Überprüfung des Status Kosovos in der Republik Srpska erneut Sezessionsbestrebungen Auftrieb geben könnte. Die bosnischen Serben, argumentieren die Nationalisten, müssten die gleichen Rechte wie die Albaner in Kosovo erhalten.

Ökonomische und soziale Depression

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Bosnien-Herzegowina eine der ärmsten und rückständigsten Regionen Jugoslawiens. Mit Hilfe einer forcierten Entwicklungspolitik wurde die Republik in den 1950er Jahren zu einem Zentrum der jugoslawischen Rüstungs- und Schwerindustrie ausgebaut. Obwohl es gegenüber anderen Landesteilen aufholen konnte, erhielt Bosnien-Herzegowina bis zum Auseinanderbrechen der Föderation in erheblichem Umfang Finanzmittel aus dem jugoslawischen Bundesentwicklungsfonds. Die Sezessionsbestrebungen der slowenischen und kroatischen Teilrepubliken führten 1989/90 zu einer Blockade des jugoslawischen Umverteilungssystems, die die bosnische Volkswirtschaft besonders stark traf.
Die schwerindustrielle Monokultur erwies sich bereits in der sozialistischen Ära als ein Problem, und auch die innerjugoslawische Arbeitsteilung verfestigte eher die strukturellen Defizite der bosnischen Volkswirtschaft. Schon vor dem Ende der Föderation lag Bosnien-Herzegowina bei vielen Entwicklungsindikatoren unter dem Bundesdurchschnitt.
Im Bürgerkrieg wurden die Industrieanlagen weitgehend zerstört und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf schrumpfte um 80 Prozent gegenüber dem Vorkriegsniveau. Die Versorgung der Bevölkerung hing ganz oder teilweise von der internationalen humanitären Hilfe ab. Auch wenn der Dayton-Vertrag den Krieg beenden konnte, wirkte der neue konstitutionelle Rahmen sich lähmend auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes aus. Die föderative Staatskonstruktion verhinderte eine Reintegration des bosnischen Wirtschaftsraums und stärkte die Tendenz zur gegenseitigen Abschottung. Der Warenverkehr zwischen den Entitäten ging wegen hoher Zollschranken zurück, und die komplementären Produktionsbeziehungen, wie sie vormals bestanden hatten, wurden nicht wieder aufgenommen. Zu einer der wenigen funktionierenden gesamtstaatlichen Institutionen entwickelte sich die bosnische Nationalbank. Sie konnte für das ganze Land die Konvertible Mark (KM) als Währung durchsetzen, deren Stabilität dank der festen Anbindung an den Euro allgemein Vertrauen genießt.
Seit den 1990er Jahren hat Bosnien-Herzegowina einen radikalen Prozess der Deindustrialisierung durchgemacht. Insgesamt gingen bis zu 80 Prozent der industriellen Arbeitsplätze verloren. Dieser Sektor erbrachte 2002 nur noch etwa ein Drittel der Wirtschaftsleistung des Landes. Der Dienstleistungsbereich erwirtschaftete fast die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts, und der Anteil der Landwirtschaft fiel mit 18 Prozent vergleichsweise hoch aus. Laut offizieller Statistik soll es ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 3 bis 4 Prozent geben, einige Experten gehen aber lediglich von realen 0,7 Prozent aus. Der Wachstumsprozess kommt auch deshalb ins Stocken, weil die internationalen Finanzhilfen auslaufen. Bosnien-Herzegowina, das von der Weltbank nach dem Bürgerkrieg als "postconflict country" eingestuft wurde, hat diesen Status seit Mitte 2004 verloren und gilt nun als einfaches "Transformationsland".
Das Bruttoinlandsprodukt erreichte 2003 erst 70 Prozent des Niveaus von 1990. Es lag damit 60 Prozent unter dem Durchschnitt der EU-Länder und fast 20 Prozent unter dem der Nachbarländer. Zudem ist die Exportwirtschaft kaum entwickelt, bosnische Waren sind auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig. Dazu trägt auch die schleppende Restrukturierung der maroden Staatsbetriebe bei. Das Außenhandelsdefizit (56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) und die Auslandsverschuldung (34 Prozent des BIP) sind entsprechend hoch. Der 1997 ernannte Währungsrat konnte zwar die Inflationsrate entscheidend herabdrücken, doch der Anteil der Fremdfinanzierung am Budget durch aus ländische Anleihen und Finanzhilfen gilt selbst im Vergleich zur Region als exorbitant.
Die wichtigsten Handelspartner der Republik sind Kroatien und Serbien-Montenegro, wobei die beiden Entitäten zu den jeweiligen "Mutternationen" weitaus engere Handelsbeziehungen unterhalten. Deutschland und Italien rangieren an erster Stelle innerhalb der EU15, in die insgesamt 40 Prozent der Ausfuhren gehen und von denen 40 Prozent der Importe stammen. Im Vergleich zur Region weist Bosnien-Herzegowina damit eine relativ geringe ökonomische Verflechtung mit der Europäischen Union auf. Auch die ausländischen Direktinvestitionen fließen bislang nur spärlich ins Land, innerhalb der postsozialistischen Staaten nimmt Bosnien-Herzegowina einen der hintersten Plätze ein. Die wichtigsten Kapitalgeber kommen aus Kroatien, gefolgt von Kuwait, Slowenien, Deutschland und Österreich.
Der ökonomischen Situation entsprechend stellt sich die soziale Lage der Bevölkerung dar. Die offizielle Arbeitslosenquote beträgt mehr als 40 Prozent. Da viele Menschen in der Schattenökonomie Unterschlupf finden, deren Wertschöpfung auf 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts taxiert wird, gehen Experten davon aus, dass nur jede fünfte Erwerbsperson keine Arbeit hat.
Offiziell leben mehr als 19 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1843 Konvertiblen Mark pro Jahr (1,95 KM = 1 Euro), ein weiteres Drittel bewegt sich nur knapp darüber. Besonders schlimm ist die Situation in der Republik Srpska, hier liegen die Einkommen um ein Drittel unter denen der BKF. Die Höhe der Renten variiert in der RS zwischen 30 und 150 Euro, in der Föderation zwischen 60 und 300 Euro. Arbeitslosen- und Kindergeld sowie Renten werden in der Regel mit mehrmonatiger Verspätung oder auch gar nicht ausbezahlt.

Schwache unabhängige Presse

Die bosnischen Medien sind von den Folgen des Bürgerkriegs stark geprägt. Mitte 1998 setzte das OHR eine massiv instrumentalisierte Bestimmung gegen "Diffamierung" außer Kraft, die bis dahin Journalisten mit Haft- oder Geldstrafen reglementiert hatte. Seit Ende 2000 garantiert ein Gesetz jedem Bürger den freien Zugang zu Informationen. Es kennt nur drei Einschränkungen: mögliche Schäden für legitime Ziele der Außenpolitik, sensible Bereiche der privaten Wirtschaft und die Privatsphäre von Personen. Bislang konnte sich allerdings keine Medienlandschaft herausbilden, die unabhängig von den nationalen Parteien und der internationalen Gemeinschaft existiert.
Der Printmedienbereich ist mit angeblich nur 70 000 verkauften Zeitungen pro Tag relativ unbedeutend. Bosnische Soziologen verweisen in diesem Zusammenhang auf die sehr hohe Analphabetenrate in der Bevölkerung. Aber auch Verschiebungen in der Leserschaft spielen eine Rolle. Man kann dies exemplarisch an der renommierten Tageszeitung Oslobođenje (Freiheit) festmachen, die vor dem Bürgerkrieg eine Auflage von 80 000 Exemplaren hatte. Unter abenteuerlichen Bedingungen überlebte das unabhängige Blatt die dreijährige Belagerung von Sarajevo. Auch nach dem Friedensschluss behielt die Redaktion, trotz wiederholter Inseratenboykotte, ihre kritische Berichterstattung bei. Doch die Verkaufszahlen gingen beständig zurück. Das liegt nicht nur an der grassierenden Armut, sondern hängt offensicht lich auch mit den veränderten soziokulturellen Bedingungen im Nachkriegs-Sarajevo zusammen. Nur ein Teil des ehemaligen aufgeklärt-städtischen Milieus lebt heute noch in der Stadt bzw. in Bosnien-Herzegowina. Die neu Hinzugezogenen sind meist Flüchtlinge vom "flachen Land", denen ein urbanes Leben fremd ist; sie bevorzugen die nationalen Presseorgane. Mitte der 1990er Jahre versuchte die muslimische SDA die Oslobođenje, die heute zu 39 Prozent dem slowenischen Investmentfonds Kmečka družba gehört, aufzukaufen. Doch der Verlag widerstand dem Angebot der Partei, die daraufhin die preiswerte Tageszeitung Dnevni Avaz gründete, welche als das auflagenstärkste Massenblatt in der Republik gilt. Für Aufregung in der Öffentlichkeit sorgte das in Sarajevo erscheinende Wochenmagazin Dani, das im Oktober 2004 kritisch über den Führer des religiösen Flügels der SDA berichtete und ihn auf der Titelseite als fast nackten Callboy abbildete. Nach der Veröffentlichung erhielten all jene Firmen, die in der Zeitschrift geworben hatten, einen Drohbrief von der islamischen Organisation.
Neben einer Vielzahl privater Fernsehsender und Radiostationen gibt es in Bosnien-Herzegowina drei öffentlich-rechtliche Systeme: den gesamtstaatlich ausgerichteten Public Broadcasting Service und die jeweiligen Sender der Entitäten. Letztere verfügen über die größten Reichweiten und Einschaltquoten. Nach den Vorstellungen der Europäischen Union sollen die drei Anstalten unter einem Dach zusammengefasst werden. Doch dagegen regt sich Widerstand. Die Serbische Republik lehnt das Projekt kategorisch ab, und die kroatischen Protagonisten fordern für sich ein eigenes landesweites Programm. Das OHR besteht jedoch auf seinem Reformvorschlag. Denn die Reformierung der Medienlandschaft ist eine der Bedingungen, von denen die Europäische Kommission den Beginn der Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) abhängig macht.


 

1 Die Osmanen eroberten das Gebiet des heutigen Bosnien-Herzegowina zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert. Ein Teil der dort lebenden Bevölkerung konvertierte zum islamischen Glauben, behielt aber die slawische Sprache bei und entwickelte eine eigenständige kulturelle und politische Identität. In der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien konnten sich die bosnischen Muslime bei Volkszählungen zunächst als "Muslim unentschieden" (1948) definieren, dann als "Jugoslawe unentschieden" (1953), "Muslim im ethnischen Sinne" (1961) und schließlich "Muslim im nationalen Sinne" (1971). Die Etablierung der bosnischen Muslime als Hauptvolk von BosnienHerzegowina wurde verfassungsrechtlich jedoch nicht verankert. Den vorläufigen Abschluss dieser Nationsbildung stellt die 1993 vollzogene Selbstumbenennung in "Bosniaken" dar. [zurück]

2 Der erste Präsident der unabhängigen Republik Bosnien-Herzegowina, Alija Izetbegović (1925-2003 ), war nach dem Zweiten Weltkrieg wegen seiner Mitgliedschaft in der Organisation “Jungmuslime” vom kommunistischen Regime zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. In den 1970er Jahren verfasste er Schriften zum Islam und wurde 1983 wegen "Nationalismus" und "Panislamismus" erneut inhaftiert. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung Ende 1988 gründete er 1990 die Partei der Demokratischen Aktion (SDA). [zurück]

3 Die Stabilisierungsund Assoziierungsabkommen (SAA) der Europäischen Union werden zwar auf die jeweilige Situation des Landes zugeschnitten, umfassen in der Regel aber folgende Elemente: regionale Zusammenarbeit, Förderung von Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, Entwicklung von Infrastrukturen, Regulierung von Arbeitsmigration, Niederlassungsfreiheit sowie Zahlungs- und Kapitalverkehr, fortschreitende Harmonisierung von Gesetzen mit denen in der Europäischen Union, Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Sicherheit, finanzielle und technische Hilfe zur Implementierung des Abkommens und Institutionen zur Überwachung der Implementierung. [zurück]