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Ein Projekt des Hartware MedienKunstVereins, Dortmund, in Kooperation mit Zagreb - Cultural Kapital of Europe 3000, Zagreb, und relations.

Strategische Plattform für vernetzte Zentren Essen will mit dem Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas 2010 werden. Weshalb eigentlich? Die Hauptsachen, so das Projekt Peripherie 3000 – Strategische Plattform für vernetzte Zentren, passieren doch gar nicht in den Hauptstädten, sondern längst dort, wo Randlagen den Blick auf gesellschaftliche und kulturelle Grundlagen freigeben. Nicht das Zentrum, die Peripherie ist ein produktiver Ort der Verunsicherung.
Peripherie 3000 – Strategische Plattform für vernetzte Zentren ist ein Projekt des Hartware MedienKunstVereins Dortmund mit dem kroatischen Netzwerk Zagreb – Cultural Kapital of Europe 3000 und relations, das im Ruhrgebiet Strukturen und kulturelle Produktion jenseits von Zentren untersucht.
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Im April 2006 wird Zagreb – Cultural Kapital of Europe 3000 (ZCK3000) zu Gast im Ruhrgebiet sein. ZCK3000 ist ein heterogener Zusammenschluss von ursprünglich vier, heute acht unabhängigen Zagreber Kulturinitiativen aus den Bereichen bildende Kunst, Medienkunst/ -theorie, kollektive kuratorische Praxis, Softwareentwicklung, Theater- und Performancekunst sowie von Stadtplanern und Architekten, die seit etwas mehr als zwei Jahren zusammenarbeiten. Anlass für den Besuch ist das gemeinsam mit dem Hartware MedienKunstVerein Dortmund und verschiedenen kulturellen Institutionen und Initiativen aus Nordrhein-Westfalen und relations entwickelte Projekt Peripherie 3000 – Strategische Plattform für vernetzte Zentren, das zeitgleich zur Bekanntgabe der Entscheidung über die Kulturhauptstadt Europas 2010 stattfindet. Essen hat sich zusammen mit dem Ruhrgebiet um diesen Titel beworben.

Mit dem Titel „Kulturhauptstadt Europas” ist die Hoffnung auf eine Aufwertung durch infrastrukturelle Investitionen, Großereignisse und daraus folgend auf eine Steigerung der medialen Aufmerksamkeit verbunden. Haben zu Beginn der Kulturhauptstadttradition vor allem Hauptstädte diesen Titel getragen (z.B. Athen 1985, Amsterdam 1987, Berlin 1988, Paris 1989), sind es heute vor allem ‚Nicht-Hauptstädte’, Städte in Randlagen oder Städte unter der Millionengrenze, die zu Kulturhauptstädten auserkoren werden (zuletzt u.a. Graz 2003, Cork 2005). Kulturhauptstadt ist dabei ein Label und ein Marketinginstrument, das Städte und Regionen jenseits der Hauptstädte aufwerten und attraktiv machen soll.

Während sich die „3000” im Titel von Peripherie 3000 ganz offensichtlich auf Zagreb – Cultural Kapital of Europe 3000 bezieht, spielt der Begriff der „Peripherie” mit dem Verständnis einer (Kultur-)Hauptstadt als „Zentrum” und tritt diesem Begriff selbstbewusst entgegen: Peripherie als Ort der Ränder und Ausfransungen, der den Blick auf sich wandelnde gesellschaftliche und kulturelle Grundlagen freigibt. Das Ruhrgebiet – und darüber hinaus die Region zwischen Dortmund und Rotterdam – besitzt eine spezifische Netzwerkstruktur, die Rem Koolhaas als „Eurocore” bezeichnet hat. Hier, in einem poly- bzw. nonzentrischen urbanen Netzwerk, das sich aus Knotenpunkten von unter einer Million EinwohnerInnen zusammensetzt, leben zehn Prozent der gesamten europäischen Bevölkerung. Dieses „Eurocore” besteht aus kontinuierlichen Übergängen zwischen urbanen und nicht-urbanen Gegenden. Hier von einem Zentrum zu sprechen hieße, die Eigenart und die ganz eigene Qualität dieser spezifischen Struktur zu verkennen: „the edge is everywhere”, wie das Dortmunder Projekt orange.edge es formuliert. Peripherie 3000 nimmt diese permanente „Randlage” als positives und produktives Vehikel an und macht sie zum Ausgangspunkt für ein Nachdenken über Strukturen jenseits von Zentren. Dabei geht es um eine fundamentale Umwertung des Begriffs „Peripherie”: Er steht hier nicht als negativer Begriff, als Bezeichnung von etwas Nebensächlichem oder Unwichtigem, sondern für einen Ort grundsätzlicher Verunsicherung binärer Oppositionen, an die man sich so sehr gewöhnt hat, dass man sie nicht mehr wahrnimmt.

Während eines ersten Treffens der Gruppen aus Zagreb und Nordrhein-Westfalen im Dezember 2005 in Dortmund, dem ein Zagreb- Besuch im September vorausgegangen war, wurden erste gemeinsame Themenfelder diskutiert. Sie alle sind ortspezifisch und weisen gleichzeitig über den lokalen Kontext des Ruhrgebiets hinaus, wie schon die Arbeitstitel zeigen: „Das Verschwinden von Arbeit und die Transformation des Arbeitsbegriffs – Vom Industriezeitalter ins Informationszeitalter”; „Von der Gastarbeiterkultur der 1960er Jahre zu neuen Einwanderergemeinschaften”; „Der ‚alte Westen’ als ‚neuer Osten’: Strukturwandel in den alten versus Strukturbruch in den neuen Bundesländern” und schließlich „Peripherie 3000 – Off Center: Finden wir in den Zentren noch, was wir suchen?”

Bis Januar 2006 wurden vier gemeinsame Projekte von Gruppen unterschiedlicher Disziplinen aus Nordrhein-Westfalen und Zagreb zu diesen Themen entwickelt. Im April werden sie in Form von künstlerisch-urbanen Interventionen und einem Kolloquium der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Kolloquium widmet sich vor allem der Frage, welche Arten von Institutionen kulturelle Produktion heute braucht und was für Qualitäten durch bestimmte institutionelle bzw. organisatorische Strukturen produziert werden. Ist eine große zentrale Struktur per se durch Hierarchie, Undurchlässigkeit und Unbeweglichkeit gekennzeichnet, während kleinere Einheiten sich durch gegenteilige Eigenschaften auszeichnen? Wie können langfristig angelegte Strukturen im Kontext einer zunehmend auf Projektförderung basierenden Kulturarbeit erhalten werden? Das Verhältnis von unabhängiger und institutionalisierter Kultur soll insbesondere im Kontext der fortschreitenden Globalisierung und der in diesem Rahmen stattfindenden institutionellen Transformationen untersucht werden. Eröffnet wird das Kolloquium am Vorabend durch den „Klub Peripherie 3000”, der theoretische, philosophische und künstlerische Statements zum Thema Peripherie sowohl auf der Website als auch vor Ort versammelt. Neben dem Kolloquium werden folgende Projekte präsentiert: „Discovering Zagreb (via Dortmund)”, eine Exkursion in den Zagreber Stadtraum entlang Dortmunder Stadtbilder von stadtraum.org (Andrea Knobloch, Markus Ambach, Düsseldorf), „The local transformation of global standards – a phenomenology”, eine Untersuchung des Tankstellenphänomens im Ruhrgebiet als Kooperation von orange.edge (Stefanie Bremer, Henrik Sander, Dortmund) und Platforma 9,81 (Damir Bla˛evic´, Marko Sancˇ anin, Zagreb) sowie ein Performanceabend mit k.o. (Zagreb) und dem Trio experimenteller Musik Pajo & Labosh & Kovac (Zagreb) als Projekt von MeX (Dortmund), Multimedia Institute (mi2, Zagreb) und Center for Drama Art (CDU, Zagreb).

Zentrales Element des Projektes Peripherie 3000 – Strategische Plattform für vernetzte Zentren ist der wechselseitige Austausch. ZCK3000 befasst sich seit über zwei Jahren intensiv mit dem Verhältnis von unabhängiger Kultur und Institutionen – und zwar unter den verschärften Bedingungen einer sogenannten „Normalisierung”, d.h. eines durch den zunehmenden Globalisierungsdruck beschleunigten Übergangs zum Neoliberalismus. Diese Entwicklungen, die in Kroatien – einem Land, in dem innerhalb von nur 15 Jahren ein sozialistisches von einem marktwirtschaftlichen System abgelöst wurde – sehr deutlich zu spüren sind, stehen im ehemaligen Westen noch aus, bzw. sie sind um vieles langsamer und vollziehen sich sozial abgefederter als im östlichen Europa. In diesem Sinne sind die Mitglieder von ZCK3000 Experten, die möglicherweise schon Strategien des Umgangs mit einer beschleunigten Transformation entwickelt haben.

Inke Arns

Der Text erschien unter dem Titel „Lob der Ränder” in read relations 4 (04/2006), der Zeitung zum Projekt relations.