|
|
> Magazin > relations docking tour 01 > Sprung in die Stadt - das Buch von relations > ALTE ARTE > De/construction of Monument
> displaced > East Art Map > Mind the Map! - History Is Not Given > Lost and Found – ein Filmprojekt > Re:form > Missing Identity > Academy Remix > Visual Seminar > WILDES KAPITAL / WILD CAPITAL > Zagreb – Cultural Kapital of Europe 3000 > Peripherie 3000
> Über Re:form
> Projektträger > Module > Veranstaltungen > Publikationen > Presse > Länderatlas Polen
Hauptstadt: Warschau, 1 687 628 Einwohner (Fortschreibung 2005)
Die Gespenster der Vergangenheit Die Periode der kommunistischen Herrschaft in Polen weist im Verhältnis zu anderen sozialistischen Staaten eine Reihe von Besonderheiten auf. Bemerkenswert sind der frühzeitige Abbruch der Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft (1956), der erhebliche Einfluss der katholischen Kirche und die Stärke der Oppositionsbewegungen.1 Instabiles Parteienspektrum Das politische System des postsozialistischen Polen besitzt einige charakteristische Merkmale. So existiert ein starker Dualismus zwischen den ehemaligen Vertretern und den Gegnern der alten Herrschaftsordnung. Auch wenn der herausragende Einfluss der katholischen Kirche im Laufe der 1990er Jahre abnahm, stellt sie weiterhin einen wichtigen Machtfaktor dar. Die Parteienlandschaft zeichnet sich durch eine starke Heterogenität und Instabilität aus: Zusammenschlüsse, Umbenennungen und Neugründungen sind an der Tagesordnung. Allein zwischen 1989 und 1999 amtierten nicht weniger als acht Regierungschefs. Bemerkenswert ist zudem der konstant hohe Anteil von Nichtwählern, der für eine tiefe Entfremdung zur politischen Klasse steht. Bei den Wahlen von 2005 beteiligten sich nur 40 Prozent der Wähler und Wählerinnen. Sensibles deutsch-polnisches Verhältnis Im Gegensatz zu dem Beitritt zur Nato im Jahr 1999, der sich auf eine breite gesellschaftliche Zustimmung stützen konnte, hatten einige Parteien im Vorfeld der polnischen EU-Mitgliedschaft eine deutliche antieuropäische Skepsis artikuliert. Nicht nur die Bauernpartei und die "Selbstverteidigung" lehnten damals die Europäische Union ab, sondern auch Gruppierungen aus dem konservativen Flügel der ehemaligen Solidarność. Als deren Stichwortgeber betätigte sich das katholische Episkopat, das vor den Einflüssen der "permissiven Gesellschaft" in Westeuropa und dem "Verlust der polnischen Werte" warnte. Erst auf Druck des Vatikans stellte die Kirche ihre europafeindliche Propaganda ein. Nach langwierigen Verhandlungen mit der Europäischen Union erreichte die polnische Links-Regierung, dass die Zahlungen von europäischen Direkthilfen an polnische Bauern nachgebessert wurden, und reagierte damit auf eine verbreitete Skepsis in der Bevölkerung. Allerdings blieb Polen im Verhältnis zu früheren EU-Erweiterungsrunden nur ein relativ geringer Spielraum für die Durchsetzung eigener Interessen. Bereits am 13. Dezember 2002 wurde in Kopenhagen der Abschluss der Beitrittsverhandlungen für Polen und eine Reihe anderer osteuropäischer Staaten verkündet. Dabei hatten Deutschland und Österreich hinsichtlich der "Freizügigkeit der Arbeitnehmer"3 in der EU besonders restriktive Übergangsregelungen erwirkt. Nach der Unterzeichnung der Beitrittsdokumente am 16. April 2003 fand in Polen am 7. und 8. Juni 2003 eine Volksabstimmung statt, bei der sich 77,5 Prozent für die Europäische Union aussprachen. Am 1. Mai 2004 trat das Land schließlich der EU bei. Die Entfesselung der Marktkräfte Unter der ersten nichtkommunistischen Regierung kristallisierte sich angesichts einer äußerst prekären wirtschaftlichen Lage eine neoliberale "Schocktherapie" heraus. Auch in dieser Hinsicht spielte Polen in Osteuropa eine Vorreiterrolle. Das Programm umfasste eine binnen- und außenwirtschaftliche Liberalisierung, eine weitgehende Konvertierbarkeit der Währung und die Einleitung der Privatisierung. Die Durchführung der Schocktherapie konnte sich dabei auf eine gewisse ökonomische Basis stützen. Bereits 1990 trugen privatwirtschaftliche Aktivitäten 30 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Zu den Protagonisten, die den neuen Kurs maßgeblich vorantrieben, zählten neben der heimischen Reformelite die internationalen Finanzinstitutionen. Da die polnische Regierung Sofortkredite benötigte und einen Schuldenerlass anstrebte, ließ sie sich auf neoliberale Sanierungskonzepte verpflichten, wie sie seit den 1980er Jahren verschuldeten Ländern in der "Dritten Welt" aufgezwungen werden. Tatsächlich erhielt Polen einen weitgehenden Schuldenerlass. Entkopplung von Wachstum und Beschäftigung In der Zwischenzeit ist der Privatisierungsprozess weit vorangeschritten. Im Jahr 2002 stammten 71,7 Prozent der Bruttowertschöpfung aus der Privatwirtschaft. Der Kampf zweier Linien Bereits im Vorfeld des polnischen EU-Beitritts hatte die Europäische Kommission Defizite bezüglich der Pressefreiheit in den öffentlich-rechtlichen Medien festgestellt. Die jeweilige Regierungsmehrheit und der Staatspräsident bestimmen in den Anstalten nicht nur die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien und die Chefredakteure, sondern auch die Posten der politischen Redakteure. Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich oder Großbritannien, wo die Führungsebenen der Sender ebenfalls von der jeweiligen Regierung besetzt werden, findet in Polen nach einem Machtwechsel der Austausch kompletter Redaktionen statt.
1 Nach gewalttätigen Massendemonstrationen kam es 1956 zum “polnischen Tauwetter”, das allerdings nur zwei Jahre andauerte. Danach schlug der damalige Parteichef Władysław Gomułka wieder einen autoritären Kurs ein. Nach schweren sozialen Unruhen im Dezember 1970 musste er schließlich zurücktreten. 1976 versuchte das Regime die wachsende Konsumnachfrage der Bevölkerung durch Preiserhöhungen zu dämpfen. Doch die Arbeiterschaft reagierte, wie schon in der Vergangenheit, mit Streiks und Demonstrationen. Gegen die darauf einsetzende Repressionswelle gründete eine Reihe von Intellektuellen das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR). Die Dissidentengruppe löste die Entstehung einer Oppositionsbewegung aus, die in ihrer Breite als einmalig für den Ostblock gilt. Der Widerstand gegen das System erhielt 1978 durch die Wahl des Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyla zum Papst Johannes Paul II. zusätzlichen Auftrieb. Im Sommer 1980 brachen erneut zahlreiche Streiks aus. Dies war die Geburtsstunde der Solidarność, die sich als Dachverband einer gewerkschaftlichen Organisation und zugleich als Sammelbecken der oppositionellen politischen Kräfte verstand. Zum ersten Vorsitzenden wurde Lech Wałęsa, ein Arbeiter aus der Danziger Lenin-Werft, gewählt. [zurück]
2 Bereits auf der Konferenz von Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943) einigten sich Franklin D. Roosevelt, Winston Churchill und Josef Stalin grundsätzlich über die Abtretung polnischer Ostgebiete an die Sowjetunion und eine Westverschiebung Polens zu Lasten des Deutschen Reiches. Auf der Konferenz von Jalta (4. bis 11. Februar 1945) setzten die drei Großmächte die polnisch-sowjetische Grenze fest, die in etwa den Demarkationslinien des Hitler-Stalin-Paktes entsprach. Im Potsdamer Abkommen ( 2. August 1945 ) bestimmten die Alliierten die Oder-Neiße-Linie als provisorische Westgrenze Polens und stellten die östlich davon gelegenen Gebiete, die den Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 entsprachen, unter vorläufige polnische Verwaltung. Alle dort lebenden Deutschen sollten ausgesiedelt werden. Diese Entscheidung bezeugt, dass der neue Grenzverlauf keineswegs als Provisorium gedacht war, auch wenn die endgültige Festlegung einer späteren Friedenskonferenz überlassen blieb. Bis Ende 1950 mussten ungefähr 8,5 Millionen Deutsche die ehemaligen Ostgebiete und Polen verlassen. Die im Jahr 1970 geschlossenen Gewaltverzichtsabkommen zwischen der deutschen und polnischen Regierung beinhalteten den Vorbehalt, dass die Bundesrepublik die OderNeißeGrenze nur vorläufig anerkenne. Nach Bonner Rechtsauffassung existierte das 1945 zerschlagene Deutsche Reich weiterhin in seinen Grenzen von 1937. [zurück]
3 Bezüglich der "Freizügigkeit der Arbeitnehmer" werden in den ersten zwei Jahren nach dem EU-Beitritt die jeweiligen nationalen Regelungen für Altmitglieder hinsichtlich Aufenthaltsrecht und Arbeitserlaubnis aufrechterhalten. Die Übergangseinschränkung endet generell nach fünf, in einigen Mitgliedsstaaten erst nach sieben Jahren. Im Fall von Polen hat sich seit den 1990er Jahren eine Pendlermigration herausgebildet. Schätzungsweise eine Million Erwerbsfähige gehen temporär im Ausland einer Arbeit nach, vorzugsweise in Deutschland. [zurück]
4 Auf der Londoner Schuldenkonferenz 1953 gelang es der Bonner Regierung in der Reparationsfrage, einen langfristigen Aufschub von Reparationszahlungen für den verlorenen Zweiten Weltkrieg zu bewirken. Die anstehenden Forderungen betroffener Staaten wurden bis zum Abschluss eines ausstehenden Friedensvertrages vertagt. In der Folge unterschied die Bundesregierung bei den an sie herangetragenen Ansprüchen stets zwischen Reparationskosten infolge von Kriegsschäden und wiedergutmachungspflichtigen NS-Verbrechen. Gegenüber Polen behielt die Bundesrepublik sich vor, ausstehende Reparationsleistungen mit eigenen Forderungen wegen der Vertreibung und Enteignung deutscher Staatsbürger zu konfrontieren. Mit der deutschen Vereinigung schien 1990 der bis dahin fiktive Termin für die Zahlung der Reparationen reale Gestalt anzunehmen. Es lag im Interesse der Bundesregierung, einen formellen Friedensvertrag zu verhindern, um nicht Ansprüchen seitens der Gläubigerstaaten nachkommen zu müssen. Tatsächlich gelang es ihr 1990 in dem sogenannten Zwei-plus-vier-Abkommen zwischen den ehemaligen Siegermächten einerseits und der BRD und DDR andererseits, eine schriftliche Fixierung dieser Problematik auszuklammern. Fünfzig Jahre nach dem Krieg, so der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, solle man keine alten Rechnungen mehr aufmachen. Gleichwohl dienten ihm die Restitutionsforderungen der deutschen Vertriebenenverbände als Dispositionsmasse bei den Verhandlungen mit Polen. Schließlich erklärte die Bundesrepublik sich in einem Notenwechsel "auf Grundlage humanitärer Überlegungen" zu einer "Geste" bereit. Der östliche Nachbar erhielt 500 Millionen D-Mark für die "Opfer nationalsozialistischer Verfolgung" und verpflichtete sich seinerseits, keine weiteren Ansprüche mehr geltend zu machen. Im Gegenzug verzichtete Deutschland auf ein Territorium, das es bereits 1945 – als Konsequenz des faschistischen Vernichtungskrieges – an Polen verloren hatte. [zurück]
5 Am 23. August 1939 unterzeichneten die Außenminister Wjatscheslaw Molotow und Joachim von Ribbentrop
den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, der später als Hitler-Stalin-Pakt in die Geschichte einging. In einem geheimen Zusatzprotokoll wurden das westliche Polen und Litauen der deutschen Interessensphäre zugeschlagen; Finnland, Estland, Lettland, das östliche Polen und Bessarabien fielen hingegen an die Sowjetunion. In einem weiteren Ergänzungsvertrag vom 28. September 1939 kam Litauen im Austausch gegen polnische Gebiete ebenfalls zum russischen Einflussbereich. Nachdem die deutschen Truppen am 1. September 1939 Polen überfallen und innerhalb weniger Wochen militärisch niedergerungen hatten, teilten die beiden Großmächte ihre Beute. Die sowjetischen Behörden deportierten in ihrem Bereich 1,5 Millionen Polen nach Sibirien und Kasachstan. Das Deutsche Reich gliederte große Teile des polnischen Territoriums direkt in das eigene Staatsgebiet ein. Die dort lebenden Menschen wurden nach "rassischen" Kriterien kategorisiert und der als "slawisch" eingestufte Bevölkerungsteil vertrieben. Zentralpolen erhielt den Status eines "Generalgouvernements" und geriet bald zum Experimentierfeld deutscher Besatzungspolitik: Sie umfasste die gezielte Liquidierung der politischen und kulturellen Elite, willkürliche Massaker an der Zivilbevölkerung, die massenhafte Rekrutierung von Zwangsarbeitern, die Ausplünderung aller Ressourcen und die systematische Ermordung der Juden. Während der deutschen Okkupation. [zurück]
|
|
|