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Gegengewichte bilden

Berlin ist nicht Sarajevo, aber es gibt mehr Anschlusspunkte als auf den ersten Blick ersichtlich. Kathrin Becker über Stadtmöblierung, Flüchtigkeit und Bewusstmachung im öffentlichen Raum.

De/construction of Monument ist ein Projekt über den symbolischen Gehalt von Denkmälern: Untersucht werden die Ideologien und Herrschaftsverhältnisse, die sich in ihrer Errichtung und Zerstörung spiegeln. Was interessiert Sie an dieser Auseinandersetzung?

Kathrin Becker: Ich beschäftige mich schon lange mit Kunst in sozialistischen Ländern und ihren Folgestaaten. Solche paradigmatischen Wechsel, wie sie sich im ehemaligen Jugoslawien und in Bosnien-Herzegowina vollzogen haben, sind besonders interessant: Von einer sozialistischen Auffassung von Kunst im Sinne eines eigenen Wegs unter Tito zum Kunstverständnis der heute allseits durchscheinenden „Diktatur der ethnischen Nation“. Diesen Wandel am Beispiel des Denkmals zu exemplifizieren, bietet ein interessantes Spektrum. Konzeptuelle Kunstformen haben im ehemaligen Jugoslawien ja seit den 70er-Jahren eine große Tradition. Die Doktrin des sozialistischen Realismus galt dort nicht durchgängig wie in den Staaten des Warschauer Paktes, die Moderne war Teil der offiziellen Auffassung von Kunst. Sehr wichtig an der Arbeit von De/construction of Monument ist der Aspekt des Gegengewichts: Gegengewichte zu bilden zu den konservativen Auffassungen von Kunst bei den neuen nationalen Eliten.

Dem ethnisch definierten Begriff von Nation in Bosnien-Herzegowina will De/construction of Monument ein künstlerisches Korrektiv entgegensetzen, das auf kulturelle Offenheit und Kommunikation setzt. Wie lässt sich ein Projekt, das in einem so spezifischen politischen Kontext entstanden ist, überhaupt mit der deutschen Realität kurzschließen?

Einerseits muss man natürlich sagen, dass es auch hier eine Tradition des ideologisierten Umgangs mit Denkmälern gibt - wenn wir etwa an den Ostteil Berlins denken. Auch unserem demokratischen Staat ist die Vernichtung der ideologischen Zeichen einer überwundenen Herrschaft, eine „damnatia memoriae“ ja nicht fremd. Andererseits gibt es gerade in Berlin eine große Diskussion um das Denkmal im öffentlichen Raum und seine Funktionen; nicht nur um das Holocaust Memorial von Peter Eisenman, sondern auch um das Denkmal für Rosa Luxemburg. Verbunden werden Sarajevo und Berlin darüber hinaus durch die Geschichtsträchtigkeit der Orte: Stichworte wären für Sarajevo der Erste Weltkrieg und der Jugoslawienkrieg, für Berlin die beiden Weltkriege und die Mauer. Und nicht zuletzt ist Berlin auch ein Ort der Kriegsflüchtlinge aus Bosnien - auch das ist ein verbindendes Element.

Werden die Parallelen in den Arbeiten für displaced sichtbar?

Die Arbeiten in Berlin entstehen aus der Beobachtung heraus, dass die Themen von De/construction of Monument Symptome sind; Symptome für gesellschaftliche Prozesse, für den Zustand einer Stadt. Alle displaced-KünstlerInnen haben Sarajevo besucht, außer Šejla Kamerić, die sowieso dort lebt. Ihre Beobachtungen vor Ort sind der Auslöser für die Arbeiten; sie suchen Entsprechungen für den Zustand der bosnischen Gesellschaft. Der Komplex der Denkmalsgeschichte wird also für das Berliner Projekt eine weniger große Rolle spielen als in Sarajevo. Er wird insofern adressiert, als alle Projekte für den öffentlichen Raum entwickelt werden. Das ist ja an sich schon ein Statement zu Fragen der Repräsentativität von Kunst.

Welche Fragestellungen sollen denn in den öffentlichen Raum getragen werden?

Das Bewusstsein für die Dialektik von public memory/public amnesia und Aufmerksamkeitsökonomie. Die KünstlerInnen des Projekts arbeiten nicht am Komplex des Ost-West-Themas und des Denkmals. Das hat nichts damit zu tun, dass die Ost-Westgeschichte durchgearbeitet wäre; es hat eher damit zu tun, dass es zur Zeit vielleicht Wichtigeres gibt. Das Bewusstsein für „displacement“ und dafür, dass in der Mediengesellschaft unser Erinnern immer tagesabhängig ist. Was Denkmäler mit einschließt. Aber es ist heute tatsächlich wichtiger, Prozesse von Migration, von Vertreibung und Nationalisierungstendenzen mitten in Europa zu thematisieren.

Daher der Titel displaced?

Der Titel entstand unter dem Eindruck meiner Reisen nach Bosnien-Herzegowina. Aus einem europäischen Blickwinkel kann man sagen, dass das Land eine „displaced nation“ ist, im Sinne der Ausgrenzung von Europa. Es geht in unserem Projekt um den Zustand des Verdrängten, des Abgeschobenseins. In einer Art Reflex auf das, was in Sarajevo passiert, soll in Berlin eine Bewusstwerdung generiert werden, sollen Geschehnisse wieder ins Bewusstsein zurückgeholt werden.

Trotzdem müssen die Arbeiten - besonders da sie im öffentlichen Raum realisiert werden- auch den hiesigen Kontext reflektieren. Wie wird die Verbindung gesucht?

Stih & Schnock haben einen analytischen Zugriff auf die Thematisierung von Geschichte und Erinnerung und Funktionen von Kunst im öffentlichen Raum. Sie werden in einer zehntägigen Kolumne in einer Berliner Tageszeitung das Leben in Bosnien-Herzegowina im Ausnahmezustand thematisieren. Danica Dakić oder auch Maria Thereza Alves arbeiten eher mit poetischen Metaphern: Dakić setzt die menschliche Stimme ein, Alves wird mit Pflanzen die Durchdringung von Geschichte, Ökonomie und Identitäten thematisieren. Bei der jungen Šejla Kamerić ist deutlich, dass sie in einer mediatisierten Welt aufgewachsen ist: Ihre Strategien sind klar Strategien des Öffentlichen. Für displaced beschäftigt sie sich mit Aspekten von Bedrohung und der Herstellung von Sicherheit, wie sie ja nicht nur in Bosnien, sondern seit dem 11. September und Madrid auch hier verstärkt eine Rolle spielen. Für Edgar Arceneaux dagegen ist persönliche Geschichte wichtig; sein 1999 begonnenes Installationsprojekt Drawings of Re-Moval, für das er Elemente aus Zeichnungen ausschneidet und neu zusammenfügt, versinnbildlicht ja geradezu den Prozess von Erinnern und Vergessen.

Sowohl der öffentliche Raum als auch das Denkmal werden also weitgehend dematerialisiert begriffen - ein Reiterstandbild auf dem Marktplatz ist nicht zu erwarten.

Und wenn doch, dann höchstens als Mimikry. Die Auffassung, dass zeitgenössische Kunst dekonstruktiv ist und displaced keine Stadtmöblierung sein soll, teilen alle beteiligten Künstlerinnen und Künstler. Es war von Anfang an klar, dass auch Radiosendungen, Eingriffe in U-Bahnwerbung oder dergleichen gemacht werden kann. In dem Zusammenhang ist es wiederum interessant, dass die im Rahmen von De/construction of Monument selektierten neuen Denkmäler für Sarajevo alle die Form eines Blocks oder Kubus tragen. Bei uns werden es eher Klänge, Zeitungsseiten, Pflanzen sein. Es wird ein Element der Flüchtigkeit in allen Arbeiten geben. Und diese Flüchtigkeit steht der Präsenzhaftigkeit und ideologischen Vereinnahmbarkeit von Monumenten diametral gegenüber.

Interview: Christiane Kühl

Kathrin Becker ist Geschäftsführerin des Neuen Berliner Kunstvereins und Leiterin des NBK Video-Forums. Sie studierte Kunstgeschichte und Slawistik in Bochum, Moskau und Leningrad. Für relations übernahm sie die Projektleitung von displaced.

Der Text erschien in read relations 3 (08/2005), der Zeitung zum Projekt relations.