Kontakt    Druckversion   en | de

Von Emir Imamović

"Die Wahrheit ist: Während alarmierend großer Abschnitte des Tages bin ich ein Schwachsinniger", schreibt Nick Hornby am Anfang von Ballfieber, für viele der Fußballroman schlechthin. Und wirklich, für jeden, der Fußballfans verstehen will, ist dieser schmale Band voller Selbstironie eine perfekte Einführung. Er erklärt, was Menschen dazu treibt, Stadien mit Kirchen zu verwechseln und mit religiöser Inbrunst in einem emotionalen Crescendo zweiundzwanzig Männer bei einem eigentlich recht schlichten Spiel zuzusehen.
Wäre Hornby nicht Engländer und Fan von Arsenal London, wäre er in Bosnien-Herzegowina geboren und hätte seine Jugend in einem der Stadien von Sarajevo, Tuzla, Mostar, Banja Luka, Široki Brijeg, Trebinje oder Zenica verbracht, er wäre wohl kaum zum Star des Literaturbetriebs aufgestiegen. Obwohl er wahrscheinlich nicht weniger begabt und es auch nicht weiter ungewöhnlich gewesen wäre, hätte er seinen Erstling über Fußball geschrieben. Aber Ballfieber wäre als Titel dieses Erstlings wohl nicht düster genug gewesen.
Man könnte sich also durchaus einen Fußballroman als Debüt eines bosnisch-herzegowinischen Hornby vorstellen. Aber damit verbieten sich weitere Vergleiche angesichts der jüngsten Vergangenheit eines Landes, das vom serbischen Blitzkrieg verbrannt wurde und durch den wechselseitigen Hass seiner Bewohner gespalten ist. Denn hier dienten Fußballstadien als Sammelpunkte für Massendeportationen im Rahmen der organisierten ethnischen Säuberungen. Insbesondere in Ostbosnien, entlang der Grenze zu Serbien, wurden hier diejenigen für den Abtransport interniert, die später aus den Massengräbern zu exhumieren waren. Die Massenschlägereien zwischen den Anhängern von Roter Stern Belgrad und Dinamo Zagreb erwiesen sich im Nachhinein als bloßer Vorgeschmack auf die Brutalität eines Krieges, in dem sich die einst liberalste nichtkapitalistische Gesellschaft auf die Suche nach dem ultimativ Bösen begab.
[...]
Es wäre ein interessantes Experiment, zum Beispiel in Oslo jemanden zu suchen, der nichts über Bosnien-Herzegowina weiß, ihm in aller Kürze die jüngste Geschichte des Landes zu erklären und dass dort nach wie vor drei Bevölkerungsgruppen miteinander leben, die sich im Grunde nur durch ihre religiöse Zugehörigkeit unterscheiden (Muslime, Katholiken und Orthodoxe). Man sieht sich mit ihm einige Spiele der Ersten Liga – eher plumpe Veranstaltungen mit gerade einmal sechzehn Klubs und durchschnittlich ein paar tausend Zuschauern je Match – an und bittet ihn um ein Urteil über Bosnien. Wahrscheinlich wird unser Norweger dem Land ohne Zögern eine Zukunft voraussagen, die noch düsterer ausfällt als die jüngste Vergangenheit.
Versuchen wir uns in seine Lage zu versetzen. Stellen wir uns vor, wir seien in Banja Luka, der Hauptstadt der Republika Srpska, und sähen ein Spiel zwischen Borac, dem dortigen Fußballklub, und den „Eisenbahnern” (Željezničar), die aus Sarajevo angereist sind. Auf den Tribünen stehen mehrheitlich Fans der „Kämpfer” (so die Übersetzung von Borac) aus Banja Luka, äußerlich durch nichts von den Fans im übrigen Europa zu unterscheiden: Schals, Kappen, Fahnen, das komplette Programm. Unten auf dem Rasen warten bereits die Borac-Spieler aus Banja Luka, der weltoffensten Stadt der Serbischen Republik, ihrem administrativen, politischen und kulturellen Zentrum. Auf der anderen Hälfte des Spielfelds laufen die Gäste aus Sarajevo ein, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, in der mehrheitlich Bosniaken leben. Es ist wie gesagt ein Jahrzehnt her, seit man von Banja Luka in den Uniformen der serbischen Armee zu den Stellungen rund um Sarajevo ausrückte und das Stadion der Gastmannschaft an der Front lag. Die "Vultures", wie sich die organisierten Borac-Anhänger selbst nennen, haben am Zaun des Stadions ein Transparent befestigt: "Messer, Draht, Srebrenica", was sich auf Serbisch reimt und eindeutig auf eines der größten Verbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg anspielt, sich mit dessen Größenordnung einverstanden erklärt (8 Bosniaken wurden umgebracht) und den Gästen mitteilt, welches Schicksal man ihnen wünscht. Vor dem Transparent stehen junge Männer in T-Shirts, auf denen die Konterfeis der beiden meistgesuchten Kriegsverbrecher – Radovan Karadžić und Ratko Mladić – prangen. Heiser gröhlen sie Tschetnik-Lieder aus dem Zweiten Weltkrieg und fordern lautstark Großserbien und die Auslöschung Bosniens.

Emir Imamović wurde 1973 in Tuzla, Bosnien-Herzegowina geboren und lebt heute in Sarajevo. Seit 1992 arbeitet er sowohl für das Fernsehen als auch für Printmedien. Als Kriegsreporter war er im Kosovo, in Mazedonien und Afghanistan. Zur Zeit publiziert er in dem Magazin Gracija (Sarajevo) sowie in Dani, dem einflussreichsten Nachrichtenmagazin Bosnien-Herzegowinas, verfasst Drehbücher für Dokumentarfilme und arbeitet an seinem ersten Roman.

Der Text ist ein Auszug aus Emir Imamovićs Beitrag zu Sprung in die Stadt.